Das Willy Brandt Forum in Unkel

Von Anna Gesher
13.7.2014

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Willy Brandt, regierender Bürgermeister in Berlin (1957-1966), Kanzler der Bundesrepublik Deutschland (1969-1974) und Friedensnobelpreisträger (1971), lebte von 1979 bis zu seinem Tod 1992 in Unkel am Rhein. Zusammen mit Brigitte Seebacher, die er 1983 in Unkel unter Ausschluss der Öffentlichkeit heiratete, bewohnte er in den ersten Jahren ein Penthaus in der Eschenbrender Straße, um dann, 1989, in das eigene Haus „Auf dem Rheinbüschel“ umzuziehen. Ihm zum Gedächtnis wurde im Zentrum der Stadt, im ehemaligen Gebäude der Sparkasse Neuwied, ein Zeitgeschichtliches Museum eingerichtet, das am 20. März 2011 mit den Festrednern Felipe Gonzáles, ehem. Spanischer Regierungschef, und Kurt Beck, ehem. Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, eröffnet wurde. Träger ist die gemeinnützige Bürgerstiftung Unkel „Willy-Brandt-Forum“. 25 ehrenamtliche Mitarbeiter gewährleisten bis heute den umfangreichen Museumsbetrieb, der unter anderem auch Wechselausstellungen, Vorträge und Führungen beinhaltet.
 

Dem Besucher erschließen sich anhand wichtiger privater und politischer Zeitzeugnisse, audiovisuell unterstützt, die zahlreichen Lebensstationen Willy Brandts und die Meilensteine seines politischen Handelns. Wohl mehr als 20 Stunden würde es dauern, alle Filme, Bilder, Objekte Schautafeln und Texte, die als Exponate zur Verfügung stehen, intensiv zu studieren.

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Es eröffnet sich das Schaffen eines Politikers, von dem der Maler Johannes Heisig (*1953) in einem Interview sagte: „Die Bemühungen Brandts um die neue Ostpolitik, die Besuche in Erfurt und Kassel haben mich sehr berührt. Willi Brandt war schon eine außergewöhnliche Erscheinung mit einer besonderen Aura. Man sah den Menschen, der alle Höhen und Tiefen durchlebte. Er war eben auch jemand, der über die Figur des Politikers hinaus sich immer auch die Freiheit nahm, auf seine Art spontan zu handeln. Dies drückt sich besonders durch den Kniefall in Warschau aus. Er war schon sehr ungewöhnlich, solche Politiker gibt es heute kaum noch. Er hat es einfach gemacht und selber die Maßstäbe gesetzt! Das hat mich sehr berührt.“

Johannes Heisig hat Willy Brandt mehrfach porträtiert, z. B. 2003 im Auftrag des German Historical Institute in Washington D.C. Das großformatige Porträt, das in Unkel hängt, entstand posthum (Johannes Heisig: Willy Brandt II, 1999, Öl auf Leinwand, Sammlung im Willy-Brandt-Haus, Berlin).

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In der Porträt-Galerie im Untergeschoss des Forums finden sich weitere Bildnisse Brandts, hierzu gehört auch das von Georg Meistermann (1911-1990). Im Auftrag von Willy Brandt 1977 für die Kanzlergalerie des Bundeskanzleramtes geschaffen, wurde es von Helmut Kohl wegen vermeintlich fehlender Porträt-Ähnlichkeit abgelehnt und 1985 gegen ein Bildnis von Oswald Petersen ausgetauscht. Meistermann schuf hier kein oberflächliches Abbild, sondern ein subjektives „Innenbild“ Brandts, das sein Wesen als Mensch und Politiker ausdrücken soll. Bereits sein Ölgemälde „Farbige Notizen zur Biographie des Bundeskanzlers Brandt“, gemalt zwischen 1969-1973, löste zahlreiche Diskussionen aus.

Weitere Exponate sind eine Federzeichnung des für seine Porträts berühmt gewordenen Ernst Günter Hansing (1929-2011) und eine kleine Bronze-Skulptur des Bildhauers Gerhard Marcks (1889-1981) aus dem Jahr 1970 (Sammlung im Willy-Brandt-Haus Berlin)

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Im Nebenraum werden ausgewählte Porträt-Fotos von Regina Schmeken (1990), Jupp Darchinger (1992), Robert Lebeck (1974) und Will McBride (1960er Jahre) gezeigt. Von McBride stammt auch das 1963 aufgenommene historische Treffen von John F. Kennedy, Willy Brandt und Konrad Adenauer vor dem Brandenburger Tor – Überleitung zum zweiten Teil der Fotogalerie, die Konrad Adenauer zeigt. Diese Gegenüberstellung wurde gewählt, da es sich hier um zwei der bedeutendsten Kanzler der Nachkriegsgeschichte handelt und Konrad Adenauer als Kanzler der Stadt Berlin zu Willy Brandts Amtszeit umfangreiche Unterstützung hat zukommen lassen, und auch, da Adenauer von 1935-1936 im Pax-Priesterheim in Unkel lebte, nachdem er 1933 durch die Nationalsozialisten vom Amt des Kölner Bürgermeisters enthoben und 1935 aus dem Regierungsbezirk Köln ausgewiesen wurde.

          


Im Treppenaufgang bilden die Titelseiten des „Spiegels“ eine besondere Form des „Portraits“. Auch sie sind beredtes Zeugnis von dem immer wieder in den Schlagzeilen stehenden Handeln des Vollblut-Politikers.

                        


Seine Anfänge gehen zurück in die Zeit, als der 1913 in Lübeck unter dem Namen Herbert Frahm geborene Brandt seine SPD-Mitgliedschaft zugunsten der SAPD aufgab, die 1933 verboten wurde und er in ihrem Auftrag nach Oslo reiste, um der Partei und deren internationaler Jugendorganisaton SJVD aus dem Exil eine Stimme zu verschaffen. Sein Aufenthalt in Skandinavien, 1940 wurde ihm die Norwegische Staatsbürgerschaft zugesprochen, dauerte bis zum Ende des Krieges. Jenen Jahren ist in Unkel eine ganze Wand gewidmet, darunter auch ein digitalisierter Privatfilm, der Brandt mit seiner kleinen Tochter Ninja (*1940) zeigt, die aus der ersten Ehe (1941-1948) mit Carlota Thorkildsen hervorging.

                                               

Willy Brandt, Norwegen 1933 (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn)
Willy Brandt, Norwegen 1935 (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn)

 

Seinen weiterer Werdegang kann der Besucher Schritt für Schritt verfolgen, seine Rückkehr 1945 als skandinavischer Korrespondent, seine Berichterstattung über die Nürnberger Prozesse, das Angebot, 1946 Bürgermeister seiner Heimatstadt Lübeck zu werden, dass er zugunsten einer Stelle als Norwegischer Pressattaché  in Berlin ausschlug und dann, 1949-1961, seine Mitgliedschaft im ersten Deutschen Bundestag für die Berliner SPD… Insgesamt 30 Jahre gehörte er dem Plenum an; sein Abgeordnetenstuhl, Sitz Nr. 5, aus dem alten Plenarsaal in Bonn (im Besitz von Dr. Helmut Herles, Bonn), ist in Unkel im Original ausgestellt.

 

Höhepunkt seiner politischen Karriere war die Wahl zum ersten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland am 21. Oktober 1969, zuvor war er Außenminister der großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger gewesen. Das ausgestellte Foto zeigt die Mitglieder seines Kabinetts nach ihrer Ernennung durch Bundespräsident Gustav Heinemann am 22. Oktober 1969 vor der Villa Hammerschmidt (Foto: Bundesregierung/ Ludwig Wegmann)

 

Im Unkeler Forum ist an zentraler Stelle auch eine Replik des in Warschau errichteten Denkmals zu sehen, das an den legendären und weltweit beachteten „Kniefall“ am 7. Dezember 1970 am Mahnmal des Ghetto-Aufstandes von 1943 erinnert, zweifelsohne eine symbolische Geste, die nicht nur die Entspannungspolitik einleitete und zur Verleihung des Friedensnobelpreises 1971 führte, sondern auch ein erster Schritt zur Wiedervereinigung darstellte.

Weitere Stationen, wie seine zahlreichen Auslandreisen, Präsente, Erinnerungsstücke, aber auch der Rücktritt aufgrund der Guillaume-Affäre 1974 und die damit verbundenen Reaktionen, werden dem Besucher ebenso ins Gedächtnis geholt, wie auch seine Hinwendung zur Sozialistischen Internationalen (1976-1992) und seine Mitgliedschaft im Europäischen Parlament (1979-1983).

                    

Willy Brandt und Günter Guillaume (Referent im Büro des Kanzlers, 1974 als DDR-Agent verhaftet) 1972 während einer Veranstaltung zur Bundestagswahl (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn).

Rücktrittserklärung Willy Brandts in einem Brief an Bundespräsident Gustav Heinemann vom 6. Mai 1974. (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, Faksimile)

Reaktionen auf den Rücktritt Willy Brandts, Ergebnisse einer Meinungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, Mai 1974.

 

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Während seiner Zeit in Unkel tätigte Willy Brandt rund 200 Auslandsreisen und verfasste seine 2. Autobiographie „Erinnerungen“ (1. Aufl. 1989, erste Lebenserinnerungen waren unter dem Titel „Links und frei. Mein Weg 1930-1950“ 1982 erschienen)  – sein Arbeitszimmer ist im Original nachgebaut, umrahmt mit dem von ihm verfassten zahlreichen Büchern sowie handschriftlichen und gedruckten Manuskriptseiten.

 

                                  

 

 

 

Geburtstagsfest für den 75-jährigen Willy Brandt im Januar 1989, ausgerichtet von dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizäcker in der Villa Hammerschmidt (Foto: Bundesregierung/ Arne Schambeck)


Einige Kapitel seines Handelns sind im Detail der breiten Öffentlichkeit noch weitgehend verborgen geblieben, so sein entschlossenes Handeln, als er im November 1990 in den Irak flog, um bei dem damaligen Präsidenten Saddam Hussein die Freilassung von rund 200 Geiseln zu erwirken, die dann unversehrt nach Deutschland zurückkehren konnten. Im Willy Brandt Forum in Unkel wird es dazu am 19.9.2014 einen Vortrag mit dem Titel „Willy Brandts Reise nach Bagdad im November 1990“ des Journalisten Klaus Lindenberg geben, der Brandt auf seiner Mission begleitete; sowohl der damalige Botschafter in Bagdad als auch die Witwe des Piloten, der das Flugzeug gesteuert hat, werden an dem Vortrags-Abend anwesend sein.

Am Sonntag, den 9.11.2014 wird anlässlich des 25. Jahrestages des Mauerfalls, Peter Brandt aus seinem Buch „Mit anderen Augen“ eine Lesung veranstalten.

Neben Vorträgen und Diskussionen bietet das Forum in seinem Multifunktions- und Vortragsraum Wechselausstellungen, die sich einzelnen Themen im Bezug zu Willy Brandt zuwenden, zum Beispiel fanden im Januar und Juni/Juli letzten Jahres zwei Karikaturenausstellungen statt, im Juli/August „HAP Grieshaber – ein betroffener Zeitgenosse“ mit Werken von HAP Grieshaber und einem Bilderzyklus von Arie Ogen. Im Januar 2014 wurde eine Briefmarkenausstellung mit dem Motiv „Willy Brandt“ gezeigt (zum 100. Geburtstag zum Beispiel gab die Deutsche Post AG 2013 eine Sondermarke nach einem Entwurf von Ingo Wulff aus Chemnitz heraus) und zurzeit werden zwei Ausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen präsentiert, die sich u.a. mit dem reichen Zitatenschatz von Willy Brandt auseinandergesetzt haben.

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   Barbara Schwinges: Kniefall Willy Brandts, aus Worten in Tusche und Feder
   auf Bütten. 

   Willy Brandt - "Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last
   der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache
   versagt..."
   (anlässlich des Kniefalls in Warschau 1970, zit. n. "Erinnerungen" 1989).

 

 

 

 

 

 


Neben der 1994 gegründeten Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung (BWBS) in Berlin, die seit 2010 ihren Hauptsitz Unter den Linden 62-68 hat und seiner Dependance, dem Willy-Brandt-Haus in Lübeck (Teil der Bundesstiftung) sowie dem 2001 gegründeten Willy Brandt Forum in Schwerin, nimmt das Willy Brandt Forum in Unkel im Rheinland eine bedeutende Stellung ein. Aufgrund der Schenkung des Gebäudes durch die Sparkasse Neuwied, der Förderung durch die Landesstiftung Rheinland-Pfalz (800.000 Euro), der Stadt Unkel (40.000 Euro) und Spendengelder der Stiftung (300.000 Euro) konnte das Projekt realisiert und das Museum in diesem Umfang eingerichtet werden. Dennoch bleibt die Unterhaltung und Fortführung des Museumsbetriebs in den Händen der ehrenamtlichen Helfer und es wäre für den Fortbestand des Forums von großer Wichtigkeit, wenn der Bürgerstiftung durch Bund oder Land eine gesicherte finanzielle Grundlage gewährleistet würde.

Willy Brandt Forum
Willy Brandt Platz 5
53572 Unkel

www.willy-brandt-forum.com

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