Art Cologne & Kölner Liste

Eine Nachlese

Von Denise Steger
19.4.2014

Art Cologne 

Vom 10. – 13. April fanden am rechten Kölner Rheinufer gleich zwei herausragende Kunstereignisse statt: Die altehrwürdige „Art Cologne“ und die ganz junge „Kölner Liste“, die von dem Kurator Peter Funken von Berlin erstmals an den Rhein geholt wurde. Vergleichen lassen sich diese beiden Messen allein der unterschiedlichen Größe wegen nicht, doch Künstler und Galeristen der Kölner Liste haben die Art Cologne durch ihre Innovationen und der freien ungezwungenen Atmosphäre ergänzt und bereichert, denn die Art Cologne, selbst in der oberen Etage, wirkte gediegen, zum Beispiel schienen sich Konkretes, Konstruktivistisches, 
Bauhausreminiszenzen und Farbfeldmalerei dort wie ein roter Faden durch die Messestände zu ziehen – also alles nicht ganz so neu, wie man es erwartet hätte. Dennoch viel Kunst, an der man sich nicht satt sehen konnte – hier eine ganz subjektive Auswahl im Remix beider Messen: 

Der kalifornische Zeichner, Maler und Mutimediakünstler Edgar Arcenceaux war mit zwei seiner Werke aus der Serie „Blind Pig City“ vertreten, die erstmals 2011 in der Pariser Galerie Praz-Delavallade ausgestellt, und jetzt von Susanne Vielmetter Los Angeles Projekts auf der Art Cologne präsentiert wurde.

      

Edgar Arcenceau „Blind Pig City Libraries“ 2011-2012, Acryl, Kohle und Graphit auf Papier, 152,4 x 185,42 cm
Edgar Arcenceau „Blind Pig City Banks“, 2011-2012, Acryl, Kohle und Graphit auf Papier

Innerhalb eines nicht näher definierten düsteren Raums schweben schwerelos auf dunkelrot-braunen Erdschollen platziert, die Ruinen alter Gebäude, abgekoppelt von Raum und Zeit, abgesprengt in ein All ohne Halt und Richtung, ausgebrannt, verlassen; vermeintliche Bäume ohne jegliches Laub schieben ihr totes Geäst durch die Reste von Architektur. Relikte einer versunkenen Stadt – einer Stadt, die im Werk von Edgar Arcenceau durchaus einen Namen haben könnte, denn die Serie „Blind Pig City“ entwickelte der Künstler aus einer Unterhaltung mit dem Kunsthistoriker Julian Myers und in der Auseinandersetzung mit der historischen Situation und dem wirtschaftlichen Niedergang der Stadt Detroit. Der Begriff „Blind Pigs“ der im amerikanischen ausgebrannte Ruinen von Lokalen bezeichnet, wird in dunkler Vision auf eine ganze Stadt übertragen. Arcenceau verwebt in seinen Werken ein Universum, das sich aus Geschichte, Philosophie und Soziologie zusammensetzt; er dringt tief ein in die Realität um daraus unvergleichliche Irrealitäten zu schaffen und der Wahrnehmung immer wieder aufs Neue ungeahnte Tore zu öffnen.

© Susanne Vielmetter Los Angeles Projects, 6006 Washington Boulevard, Culver City, California 90232.

www.vielmetter.com

 

Art Cologne

Surreal- irreal ist auch das großformatige Gemälde des schwedische Malers Henrik Samuelsson, der durch die Pariser Galerie Laurent Godin auf der Art Cologne vertreten wurde. Das Innere einer Architektur, die nach Raumhöhe und den Fensterformen zu urteilen zu einem verlassenen Schloss oder einer Kirche gehören  könnte, bestimmt die bildnerische Grundsubstanz. Hier schwebt ein altes Holzhaus auf einer Erdscholle mitten im Raum. Drei im Raum verteilte Jungen, von gleicher Statur und gleich gekleidet, blicken in unterschiedliche Richtungen: Der vordere verweist mit seinem Finger auf das schwebende Haus, der links im Raum stehende hat sich abgewendet, die Hände in den Hosentaschen, der hintere, in Rückenansicht, blickt aus der großen Fensterfront auf eine, im Gegensatz zum relativ monochromen Interieur, farbige, mit dunkelgrünen Nadelbäumen bestandene Landschaft, über der sich ein wolkenloser hellblauer Himmel erhebt. Kleine wolkenartige Gebilde durchziehen dagegen den Innenraum. Ein nicht näher bestimmbares metallenes Objekt rechts an der Wand, und außen, vor dem Fenster ein wie ein Insekt anmutendes Gebilde. Bereits 2006 hat Henrik Samuelsson in der Pariser Galerie Laurent Godin mit 4 großformatigen Bildern im Bezug zu den 4 Himmelsrichtungen, „Standort“ und „Standpunkt“ thematisiert, hier könnten die drei Jungen als Metapher für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bezeichnet werden – in der Verbindung von Farbe und Nicht-Farbe, Drinnen und Draußen, Definierbarem und Undefinierbaren, Realem und Irrealem, ergibt sich für den Betrachter ein weites Feld, komplexe Zusammenhänge zu erahnen oder zu ergründen.

Galerie Laurent Godin, 5, rue du Grenier Saint Lazare, 75003 Paris

Die aktuelle Ausstellung „Cool“ von Henrik Samuelsson ist in der Galerie noch bis zum 10.5.2014 zu sehen.

www.laurentgodin.com

 

Häuser und Gebäude sind auch ein Grundthema im Werk von Katharina Jahnke, vertreten durch die Kölner Galerie M29 Richter und Brückner.

 Art Cologne              Art Cologne

Dabei sind die komplexen, und mit unterschiedlichen Materialien konstruierten Räume das genaue Gegenteil eines Architekturmodells. Es sind Visionen, die Zerfall und Instabilität in sich tragen. Die Objekte assoziieren die breite Spanne von Behelfshütten in den Slums der großen Metropolen bis zum möglichen Scheitern bürgerlicher Wohnkultur. Doch letztendlich eröffnen sie eine Ästhetik des Objekts, jenseits der Realität, das für sich selbst steht.

M29 Richter und Brückner, Moltkestr. 27a, 50674 Köln

www.m29.info

 

 

 

Ina Weber: Minigolfbahn „Autobahnrestaurant“ und „Bushaltestellen“, 2013/2014, Beton, Keramik, Glas, Holz, Metall, Fertigputz, 44 (26) x 361 x 101cm

„Minigolf“ war im Gegensatz zum Rasengolf ein bürgerlicher Freizeitspaß für die ganze Familie, der in den 60er Jahren in vielen Parkanlagen ausgeübt wurde. Die Berliner Künstlerin Ina Weber hat sich die Grundstrukturen und Regeln des Parcours zu Eigen gemacht, um auf ihre ganz besondere Weise über Architektur, Urbanität und Mobilität zu reflektieren. Bereits 1997 begann sie, die in Beton gegossenen und am Zielpunkt mit einem kleinen Ballloch versehenen Felder zu entwickeln, deren Hindernisse aus nachgebildeten Häusern oder, wie in der Kölner Messepräsentation der Galerie Hammelehle und Ahrens, aus einem Autobahnrestaurant und aus Bushaltestellen bestehen. Die Grundlage ihrer „Architekturen“ bildeten Fotografien von Gebäuden aus ganz Europa, das sie in Tournee-Begleitung ihres Musikerfreundes bereiste, es sind Aufnahmen von Gebäuden in all ihrer Alltäglichkeit, Hässlichkeit oder auch Kuriosität. In ihren Zeichnungen, Aquarellen und Objekten verwandelt sich dieses Material zu einer kritisch-humorvollen Kunst „über Architektur“. Dabei ist Minigolf, „Spielort“ des Alltäglichen, die passende Metapher. Mit einer gehörigen Portion Ironie gelingt es der Künstlerin, die profanen „Bahnen“ zu thematisieren und den etwas anderen Blick auf urbane Strukturen in ihrer verkehrstechnischen Vernetzung zu schärfen.

 Art Cologne                    Art Cologne

Galerie Hammelehle und Ahrens, an der Schanz 1a, 50735 Köln

www.haah.de

 

 

 

Reinhard Mucha: „Zingst“ 2014, Holzleiter, Holz, Glas, Filz, 83 x 196 x 27,8 cm

Ein letzter Blick auf die Art Cologne sei dem Objekt „Zingst“ aus dem Jahr 2014 von Reinhard Mucha gewidmet, das die in Berlin und London vertretene Galerie Sprüth-Magers mitgebracht hatte. Den Düsseldorfer Künstler, Dokumenta- sowie Biennale-Vertreter Reinhard Mucha braucht man nicht vorzustellen, sein Werk ist über Jahrzehnte etabliert und international anerkannt. Wie in vielen seiner Arbeiten ist ein konkretes Fundstück, in diesem Fall eine alte Holzleiter, Kern des Objekts. Quergestellt bilden die Sprossen eine vertikale Rhythmisierung und werden rückwärtig zu kleinen Räumen erweitert, die mit Filz ausgelegt sind. Sowohl rechts und links, als auch oben und unten findet eine Ergänzung des zentralen Gefüges in Form von hellen, hölzernen, quadratisch strukturierten Rahmenelementen statt, die den Rhythmus der Sprossen verlängern und durch ihre doppelwandige Anlage duplizieren. Leicht und durchlässig wirken diese peripheren Elemente gegenüber dem Kern - eine Symbiose von alter und neuer Architektur. Eine dritte Dimension bildet die vor das Konstrukt geschaltete Glasscheibe, die in jenem peripheren Bereich auf ihrer Hinterseite mit feinsten horizontalen und vertikalen Linien bemalt ist, die nicht nur das Motiv der Leiter an jeder Sprosse repetitiv aufnehmen, sondern ein, verstärkt durch die Licht und Schattenwirkung, filigranes Raster bilden, dass dem Objekt eine zusätzliche räumliche Ebene verleiht. „Zingst“ – eine tief durchdachte präzis elaborierte Architektur, die die unterschiedlichsten Materialen und Techniken sowie das Alte und das Neue durch lineare Strukturen zusammenführt.  

Sprüth Magers Berlin London, Oranienburger Straße 18, 10178 Berlin, www.spruethmagers.com

 

 

                      

Ken´ichiro Taniguchi: Brunnenstraße 10, Berlin # 3   und   Ken´ichiro Taniguchi: Installation, Kunststoff

„Hecomi“ nennt der in Sapporo geborene und seit 2006 in Berlin lebende Künstler Ken´ichiro Taniguchi seine filigranen Kunstobjekte. „Hecomi“ ist die japanische Bezeichnung für „Einkerbung“ – Abnutzungsrisse, wie sie auf Mauern und Straßen wie eine geheime Schrift die gesamte Welt überziehen. Der Künstler sucht nach solchen Rissen und macht dieses Netzwerk zur Grundlage seiner Kunst. In seinen Hecomi-Projekten legt er einen exakten Atlas dieser gefundenen Formen an und arbeitet sie präzise nach – seine Materialien sind hierbei bevorzugt gelber, extra aus Japan importierter Kunststoff, manchmal auch Messing oder Stahl. Das erinnert an die historische, in Japan gepflegte Kintsugi-Technik, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu reparieren und dem entsprechend die „Narben“ als Teil der Geschichte hervorzuheben. Ken´ichiro Taniguchi ist ein meisterhafter Übersetzer von Zeitspuren unseres Alltags, doch er geht weiter, löst die Formen aus ihrer zweidimensionalen Ebene in dreidimensionale Höhe, verbindet die einzelnen Elemente mit kleinen Scharnieren zu skulpturalen Formen und phantastischen Gespinsten. Die Hamburger Galeristin Mikiko Sato hat diese sehr besondere Art der Kunst auf der „Kölner Liste“ eindrucksvoll vorgestellt.

© Mikiko Sato Gallery, Japanese Contemporary Art, Klosterwall 13, 20095 Hamburg

www.Mikikosatogallery.com

 

 

Gordon Clark: WHO AM I? 2009, Lightjet C-Print on photo paper, laminated on aluminium plate, Edition 6, 145 x 120cm

Von tiefer Sensibilität zeugen die ergreifenden Fotos die der südafrikanische Fotokünstler Gordon Clark, in dem Projekt „Who am I? – Transgressions Gordon Clark – Leon Botha, erstellte. Die ARTCO Galerie aus Aachen hat das klassische Profilportrait Leon Bothas, auch Titelbild der Edition, mit auf die Kölner Liste gebracht. Wer bin Ich? – eine Reise der Selbstbefragung und -Betrachtung im Verhältnis zur Außenwelt, die Gordon Clark und der an einem Gendefekt leidende Leon Botha (1985-2011) mit der Kamera unternommen haben. Für den Fotografen stellte sich die Frage nach der Annäherung an einen Menschen, der damit umgehen muss, ganz anders auszusehen und einen frühen Tod vor Augen zu haben. Leon Botha äußerte sich zu dem Projekt: „Ich bin an einem Punkt angekommen, wo die greifbare, die „äußere Welt“ nicht notwendigerweise lauter spricht als meine „innere Welt“ und deshalb würde es sinnlos sein, diese „äußere“ als einen Bezugspunkt für „Wahrheit“ zu gebrauchen. Das heißt nicht, die Art, wie die Dinge sind, zu leugnen…, aber sie mit einem höheren Verstehen anzunehmen.“

© ARTCO Gallery, Joachim Melchers, Seilgraben 31, 52062 Aachen

www.artco-ac.de

 

„White Rooms“ heißt eine der Fotoserien, mit der die Berliner dat Galerie den jungen, in Bonn geborenen und in Berlin lebenden Künstler Thiemo Kloss vorstellt.

 Art Cologne

Thiemo Kloss entwirft Massenszenarien: Kleine, schwarze, identitätslose Menschen, die sich in Gruppen und Rastern nach einer programmierten Choreografie vor weißem Hintergrund ins Nichts bewegen.

Art Cologne

Für seine Werke fotografiert der Künstler kontinuierlich ein und dieselbe Person, die sich auf einer freien Fläche bewegt. In der digitalen Nachbearbeitung wird diese Person freigestellt und in einen weißen Hintergrund eingefügt. Durch die Repetition dieses Prozesses werden die geplanten Muster, verstärkt durch einen hohen Kontrast, erstellt. Diese Szenen wirken irreal, die Personen aus ihrer Umgebung, aus ihrem Kontext gelöst, ohne Wahrnehmung, willenlos, gesteuert, aus der Perspektive der Aufsicht beobachtet und überwacht.

Thiemo Kloss stellt mit seinen Werken eindringlich die Frage nach der menschliche Individualität, deren Vereinheitlichung und deren Auflösung. Die Gefahr ist evident, dass gängige Konventionen und Verhaltensweisen, die sich überall auf der Welt wiederholen und dadurch einen universalen Charakter erhalten, verstärkt durch anonymisierende Technologien, die Zukunft „(ver)formen“ und Prozesse der „Entmenschlichung“ fortschreiten.

Noch bis zum 3. Mai 2014 ist in der Galerie die Ausstellung: Thiemo Kloss – Fotografien / Installationen „No 1“ zu sehen.

© Dat Galerie, Olga Kojic´, Pestalozzi Straße 105, 10625 Berlin

www.dat-Galerie.de

www.thiemokloss.com 

 

Kleine schwarze Figuren in einem weißen, nicht näher bestimmbaren Raum finden sich auch in dem Werk des in Gdansk geborenen und in Fulda lebenden Malers Leszek Skurski. Doch diese Personen sind durch ihre Haltungen, ihren Kontakt untereinander und in ihren Tätigkeiten als Individuen zu identifizieren, ja erhalten durch die Herauslösung aus dem sie umgebenden Kontext eine besondere Betonung und die Aufmerksamkeit des Betrachters, der sich mitten in einer angehaltenen Geschichte wähnt, um die dargestellten Szene zu studieren. Momentaufnahmen, die Raum für das „davor“, „daneben“ und „dahinter“ lassen. Klein und fern scheinen diese Menschen in der weiten freien, aus weißen Farbschichten bestehenden Fläche, doch behaupten sie sich in ihrer Alltäglichkeit und ihrer Besonderheit, es bleibt der Vorstellung des Betrachters überlassen, ihnen nachzuspüren.

         

Leszek Skurski: „Erster bis Vierter, Öl auf Leinwand, 180 x 270 cm, 2012
Leszek Skurski: Graffity, Öl auf Leinwand, 100 x 130 cm, 2013

© Red Corridor Gallery, Diorolfstr. 4, 36093 Künzell/Fulda

www.redcorridor.com


Der Essener Galerist Peter Klose hat die Werke von acht Künstlern mit auf die Kölner Liste gebracht, darunter auch ein Bild des spanischen Fotografen Mariano Vargas. Die erotische Kunst dieses Meisters der Inszenierung irritiert einerseits durch die Nähe zur Malerei, anderseits durch die Verschränkung von Zitaten aus der Kunst der Renaissance mit der Freizügigkeit des „Heute“. Seine Aufnahmen, bei denen nichts dem Zufall überlassen wird, spiegeln eine „entblößte“ Vergangenheit, die mit der Kamera neu gedacht und neu geschrieben wird. Überästhetisch und perfekt, wirken seine Szenarien irreal – die fotografierten Frauen, unantastbaren Göttinnen gleich, erscheinen wie in einem Traum, als unerreichbares Ideal. Seine Aufnahmen sind eine Huldigung an die Schönheit, aber eine konstruierte, vom Künstler inszenierte, Geschöpfe der erotischen Fantasie.

 

 

Mariano Vargas: dama con serpiente, Fotografie, Auflage 7

© Galerie Klose, Peter Klose, Rüttenscheider Str. 221, 45131 Essen

www.galerie-klose.de

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