Von Denise Steger
17.11.2013
Das Esszimmer“ – ein ungewöhnlicher Name für eine ungewöhnliche Galerie. Zwei langgestreckte Räume, davon war der Vordere ursprünglich eine Hofeinfahrt, der hintere eine Druckerei, getrennt durch einen kleinen Innenhof, hat die Basler Künstlerin Sibylle Feucht in Bonn-Kessenich, unweit der Museumsmeile, für Einzelausstellungen eingerichtet. Am 27. Oktober 2011 eröffnete sie diesen, jenseits kommerziellen Ambitionen etablierten Kunstraum mit Skulpturen von Martin Müller unter dem Titel „Maschinen und andere Menschen“. Inzwischen kann Sibylle Feucht, bei 5-6 Ausstellungen jährlich, auf ein breites Spektrum künstlerischer Positionen zurückblicken, die sich bewusst keiner konzeptionellen Ausrichtung beugen. Zurzeit ist die aus Lyon stammende Künstlerin Perrine Lacroix mit zwei Installationen unter dem Titel „Mauer“ im Esszimmer vertreten.
Der Begriff „Mauer“ lässt viele Assoziationen zu: Schutz, Grenze, Stütze, aber auch Hürde und Verlust von Freiheit. Neben rein physischen Mauern bestimmen im Wesentlichen auch die mentalen Mauern menschliches Zusammenleben, bedingen sich unter Umständen gegenseitig. Ein Artist-in-Residenz Aufenthalt in Berlin brachte Perrine Lacroix die deutsche Geschichte um die jahrzehntelange Präsenz und den Fall der Mauer näher. Insbesondere die Schicksale der Fluchtopfer hinterließen einen bleibenden Eindruck im Gedächtnis der Künstlerin. So war der tragische Tod von Winfried Freudenberg, der im März 1989 nur wenige Monate vor dem Mauerfall mit einem selbstgebauten Heißluftballon die Flucht wagte und die mit einem tödlichen Absturz endete, Anstoß, sich mit dem Thema „Mauer“ nachhaltig auseinanderzusetzen. Mit zwei aufeinander bezogenen Installationen, die in ihrem Material, ihrer Masse und ihrer räumlichen Präsenz unterschiedlicher nicht sein könnten, bespielt Perrine Lacroix in ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland das Esszimmer.
Den Besucher empfängt beim Betreten der Galerie eine am Ende des Raumes aufgehängte und bis in den Eingangsbereich sich erstreckende schlichte Abdeckfolie aus dünnem durchsichtigen Plastik, und im ersten Augenblick mag sich der Betrachter fragen, ob hier ein Kunstwerk vor eventuellen Malerarbeiten an den Wänden geschützt werden soll. Doch dann, mit einem einfachen Ventilator in Bewegung gesetzt, eröffnet sich ein wogendes Schauspiel. Unendlich und immer wieder anders formieren sich die wechselnden Bewegungsmuster, es stellen sich Assoziationen an Wellen, Wolken…ein, hinzu kommen knisternde Geräusche, die die unendlich leichten Wallungen um eine akustische Präsenz erweitern.
Die zweite Installation ist eine „auf dem Boden abgelegte“ langgestreckte Mauer. Ziegelsteine, bis auf die kurzen Enden regelmäßig aneinandergefügt, vermitteln Festigkeit und Erdenschwere. Dennoch entwickelt die rillenförmige Struktur und die orangene Farbe der Ziegel ihre ganz eigene Ästhetik. Es handelt sich um eine begehbare Mauer, sie zieht keine Grenze mehr, genauso wenig wie es die wogende Plastikfolie tut, die als Überwindung von Mauern, von einem Flug über Mauern jenseits der Schwerkraft gedeutet werden kann.
Perrine Lacroix gelingt hier mit einfachsten Materialien ein inhaltlich komplexes Szenario zu eröffnen, das sich auch in ihren anderen Werken immer wieder finden lässt. Mit minimalen Eingriffen erzeugt sie auf ganz schlichte Weise beim Betrachter ein neues Wahrnehmungsspektrum, mitunter auch Irritationen. Als ein Beispiel kann die Paraphrase und Erweiterung des „Rahmentopos“ genannt werden, indem es ihr 2012 gelang, mit dem beleuchteten Rahmen eines Plakatständers den Blick auf die Bäume im nächtlichen Wald zu schärfen oder mit dem Rahmen eines Fußballtors an einem abschüssigen Hang, Landschaft für den Betrachter aufgrund dieses absurden Fremdkörpers, wieder interessant zu machen.
Perrine Lacroix: MAUER
17. Oktober – 28. November 2013
Finissage: Do., 28. November 2013 ab 19 Uhr
Das Esszimmer
Mechenstraße 25
D-53129 Bonn-Kessenich
Öffnungszeiten: Do. und Fr. 15:00 – 18:30 und nach Vereinabrung