Präsentation einer Neuerwerbung im Roentgen-Museum Neuwied
Von Bernd Willscheid
16. Februar 2016
Eine Neuerwerbung der Museums-Stiftung Krüger für das Roentgen-Museum Neuwied konnte kürzlich präsentiert werden. Es handelt sich um einen Armlehnsessel aus der Zeit um 1805, der von Jean-Joseph Chapuis (1765-1864), einem Kunstschreiner in Brüssel gefertigt wurde. Wenig ist über Jean-Joseph Chapuis bekannt. Im Internet befindet sich die eine oder andere Angabe, so auch ein französischer Beitrag über die Chapuis-Möbel im Musée royaux d’Art et d’Histoire in Brüssel. Auch gibt es Sammler von Chapuis-Möbeln, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen. Eine umfangreiche Veröffentlichung ist allerdings bisher noch nicht erschienen. Dank der Recherchen von Wolfgang Thillmann können folgende Angaben festgehalten werden:
Chapuis erlernte in Paris das Kunstschreinerhandwerk und erwarb dort den Meistertitel. Dieser berechtigte bzw. verpflichtete ihn, seine Möbel zu signieren. So haben wir heute die Möglichkeit, von französischen Meistern hergestellte Möbel eindeutig zu identifizieren. Ein Zeitgenosse Chapuis‘ war der Händler Claude Chapuis, der die von ihm gehandelten Möbel wohl auch mit „Chapuis“ signierte. Bei der Zuschreibung eines Möbels von Jean-Joseph Chapuis kommt man also nicht umhin, ein mit dem Namensstempel „Chapuis“ signiertes Möbel näher zu untersuchen und ein solches mit eindeutig von ihm hergestellten bzw. eindeutig ihm zugeschriebenen Möbeln zu vergleichen.
Neuerwerbung für das Roentgen-Museum Neuwied, © Wolfgang Thillmann
Möbel von Jean-Joseph Chapuis befinden sich in einigen belgischen Museen, so auch im Charlier-Museum von St. Joost-ten-Node in Brüssel. Die Chapuis-Möbel der dortigen Sammlung wurden im 19. Jahrhundert direkt aus dem Nachlass des Möbelkünstlers erworben und können somit ihm auch eindeutig zugeordnet werden.
Jean-Joseph Chapuis hatte 1798 seine Werkstatt in Brüssel in der Rue de Borgval eröffnet. Nachweislich betrieb er diese bis 1830. Über diese Zeit hinaus ist leider zu Chapuis nichts veröffentlicht. Ob dies mit der Gründung des belgischen Königreiches 1830 in Zusammenhang steht oder ob die Werkstatt aus Altersgründen aufgegeben wurde, sei dahingestellt.
1805 wurde Chapuis mit dem Entwurf und der Herstellung von Möbeln für Schloss Laeken beauftragt. Schloss Laeken im Norden Brüssels gelegen, war 1782 bis 1784 nach Entwürfen des französischen Architekten Charles de Wailly im klassizistischen Stil für die Statthalter der damaligen Österreichischen Niederlande, Erzherzogin Maria Christina, eine Tochter Maria Theresias, und ihren Ehemann, Prinz Albert von Sachsen-Teschen, errichtet worden. Nach dem Anschluss der Österreichischen Niederlande an die Republik Frankreich 1795 ging das Schloss in den Besitz des französischen Staates über. Seit der Gründung des belgischen Königreiches ist es Wohnsitz der Königsfamilie.
Im August 1804 hatte der erst kurz vorher zum Kaiser erhobene Napoleon mit seiner Gemahlin, Kaiserin Josephine, der verwitweten Vicomtesse de Beauharnais, auf dem Weg zu seiner ersten Rheinreise Schloss Laeken besucht. Dieser Besuch war sicher ausschlaggebend, dass Napoleon veranlasste, den Brüsseler Kunstschreiner Chapuis mit einer neuen Einrichtung des Schlosses zu beauftragen.
Neuerwerbung für das Roentgen-Museum Neuwied, © Wolfgang Thillmann
Zu dieser Neueinrichtung entwarf und fertigte Chapuis Fauteuils, die dem Sessel, den nun das Roentgen-Museum präsentiert, gleich sind. Ob dieser für das Roentgen-Museum erworbene Fauteuil aus Schloss Laeken stammt, ist nicht bekannt. Solche Fauteuils dürften aber zu den wichtigsten und technisch innovativsten Möbeln der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählen. Und das aus mehreren Gründen:
Stilistisch lehnt der Sessel sich an ein Modell des französischen Kunstschreiners Georges Jacob (1739 - 1814) an, welcher wiederum auf einem Entwurf von Charles Percier und Pierre Francois Leonard Fontaine aus den 1790er Jahren beruht. Dieses Möbel ist abgleitet von dem römischen „sella curulis“, („Wagenstuhl“), einer Art Faltstuhl, wie er als Amtsstuhl im alten Rom verwendet wurde. Die markanten, U-förmigen Beine des Jacob-Möbels hat Chapuis allerdings seitlich gestellt und die Rückenlehne leichter, offener gestaltet. Die Orientierung an und die Verwendung einer solch „alten“, klassischen Form und auch anderer „antiker“ Versatzstücke lässt sich - nicht nur in Frankreich, sondern europaweit - mit der Begeisterung an der Antike erklären, welche durch die Ausgrabungen beispielsweise in Pompeji geweckt wurde.
Die Franzosen hatten bereits 1796/97 Teile Italiens besetzt, 1799 das Königreich Neapel. Bis 1815 blieb Italien unter französischer Herrschaft. Die Leitung der Ausgrabungen lag damit nun in französischer Hand, die Werke der antiken Kunst gelangten nach Frankreich und lösten dort einen regelrechten Boom aus. Alles Antike wurde idealisiert, Beispiele, denen man nachzuahmen trachtete.
Ist dieser Fauteuil also ein herausragendes Beispiel für den sogenannten Klassizismus französischer Ausprägung, so ist er jedoch noch aus einem ganz anderen Grund interessant: Wenn man sich die Bauteile, vor allem die Unterkonstruktion, auch den Rücken und die Armlehnen genau anschaut, ist es doch erstaunlich, dass diese feinen und dünnen Teile bei den Belastungen, denen sie sicher ausgesetzt waren, nicht schon lange gebrochen sind und mehr als zweihundert Jahre mehr oder weniger schadlos überstanden haben.
Neuerwerbung für das Roentgen-Museum Neuwied, © Wolfgang Thillmann
Verantwortlich dafür ist die Herstellungstechnik: Es handelt sich bei diesem Möbel um das erste, nahezu vollständig aus gebogenem Holz hergestellte Möbel. Es sind keine massiven Bauteile, die Chapuis in die gewünschten Formen bog - diese Technik stand zu dieser Zeit noch nicht zur Verfügung - sondern Bauteile aus verleimten Hölzern/Furnieren, um sogenanntes Schichtholz: Die runden U-förmig gebogenen Beine, die dünnen und feinen Querschnitte der seitlichen Zargen, welche in einer eleganten Biegung in die Rücklehnholme übergehen, die sich an die Rückenlehne anschmiegenden Armauflagen und die Armlehnstützen konnte man aus dem Grund so dünn belassen, da verleimtes Holz eine wesentlich höhere Formstabilität und Festigkeit als geschnittenes Holz aufweist.
Im traditionellen Schreinerhandwerk wurden Rundungen aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt, überfurniert, damit der Eindruck eines einheitlichen Bauteils entstand. Die Technik, solche Rundungen aus ganzen Hölzern zu biegen, ist technisch natürlich wesentlich anspruchsvoller und der Materialverbrauch, sprich Verschnitt, ist bei weitem nicht so hoch wie bei der ersten, traditionellen Methode.
Wie Chapuis die Teile gebogen hat, ist leider nicht bekannt. Es ist möglich, dass er auf seine Herstellungsmethode ein Patent angemeldet hatte, doch konnte dies noch nicht eindeutig nachgewiesen werden.
In öffentlichen Museen in Deutschland gibt es außer in der Neuen Pinakothek der Moderne in München keinen einzigen Fauteuil oder auch ein anderes Möbel von Jean-Joseph Chapuis. Dies ist eigentlich sehr verwunderlich, da in den 1930er Jahren - also mehr als 120 Jahre nach Chapuis - Alvar Aalto diese Technik wiederentdeckt hat und seine Möbel überwiegend in Schichtverleimung ausführte. In der Literatur finden sich einige Hinweise, dass die Aaltosche Technik schon von Thonet vorweggenommen wurde, doch Bemerkungen derart, dass es vor Thonet noch jemanden gab, der so gearbeitet hat, sind nur sehr spärlich zu finden.
Dem Vorsitzenden der Museums-Stiftung Krüger, Dr. Hans-Jürgen Krüger, war es ein Anliegen, diesen Fauteuil für das Roentgen Museum Neuwied zu erwerben. Es ist das Ziel der Museumsstiftung Krüger, auch Entwicklungslinien in der angewandten Kunst deutlich zu machen. Beispielsweise sollen so auch innovative Holzbearbeitungstechniken dargestellt werden, die häufig - wie auch in diesem Fall - zu heute für uns selbstverständlichen gestalterischen Lösungen geführt haben. Die Wurzeln solcher Entwicklungen liegen meist weit in der Vergangenheit. Es ist daher die Aufgabe eines Museums, diese Wurzeln zu dokumentieren und zu beschreiben, sie darzustellen, um somit zu einem tieferen Verständnis dessen, womit wir uns heute umgeben, zu gelangen.
Neuerwerbung für das Roentgen-Museum Neuwied, © Wolfgang Thillmann
Dieses hervorragende Beispiel der Möbelkunst des beginnenden 19. Jahrhunderts ergänzt die Sammlung des Roentgen-Museums und führt so die Präsentation qualitätsvoller und innovativer Möbel von Kunstschreinern nach Roentgen weiter fort. Der Sessel, der kurz nach der Wirkungszeit der Roentgens entstand, kann als Ikone des frühen Designs bezeichnet werden.
Dank gilt Herrn Wolfgang Thillmann für seine Informationen zu Jean-Joseph Chapuis und zur Technik der Schichtholzverleimung. Siehe hierzu: Wolfgang Thillmann: Perfektes Design – Thonet Nr. 14, Bielefeld: Kerber Verlag, 2015, 128 Seiten, zahlreiche Abbildungen.