Johann Martin Niederée (1830-1853)

Von Andrea Rönz
12.10.2014

Niedrée   

Johann Martin Niederée war ein aus Linz am Rhein stammender Künstler. Er schuf zahlreiche Porträts und beeindruckte dabei mit einer genauen Beobachtungsgabe und dem Talent, den Charakter der dargestellten Personen deutlich hervorzuheben. Sein eigentliches Element aber war die religiöse Malerei im Stil der Nazarener. Als Niederée 1853 im Alter von nur 22 Jahren starb, war er „auf dem Gebiete der monumentalen, religiösen Kunst ein Versprechen für die Zukunft, […] auf dem Gebiete des intimen Bildnisses aber schon ein Meister“ gewesen“, würdigte ihn später Heinrich Reifferscheid. Und sein Zeitgenosse Peter von Cornelius schrieb: „Das war ein Talent, so sicher und groß angelegt, das hätte etwas sehr Bedeutendes werden müssen.“ 

Johann Martin Niederée kam am 22. November 1830 in Linz am Rhein als drittes Kind und erster Sohn des Metzgers Peter Niederée und dessen Frau Helena Franziska geb. Stockhausen zur Welt und wuchs mit vier Schwestern und einem Bruder auf. Schon früh zeigte sich die künstlerische Begabung des Jungen, die der Großvater Johann Martin Stockhausen, Küster der Martinskirche, nach Kräften förderte. Als Vorbild für erste Zeichnungen in Schulheften und an den Wänden der elterlichen Wohnung am Buttermarkt diente der Marienaltar aus der wenige Jahre zuvor abgebrochenen Ratskapelle auf dem Marktplatz, der sich nun in der Martinskirche befand und, wie Peter von Cornelius sich erinnerte, „auf Niederée einen so großen Eindruck machte, daß [er] ihn allein auf den richtigen Weg in der Kunst leitete“. Die Wände seiner Dachkammer im Elternhaus hingen bald von der Decke bis zum Boden voller Bilder, die meisten dieser frühen Arbeiten gingen jedoch verloren.

                     

Bildnis des Vaters des Künstlers, Zeichnung, 1849, © Heimatmuseum Sinzig
Bildnis des Ferdinand Rham, Zeichnung, 1849, Privatbesitz (?)


Nach Abschluss der Volksschule besuchte Johann Marin Niederée ab 1841 das Linzer Progymnasium, das er aber auf Geheiß des Vaters 1845 ohne Abschluss verlassen und eine Metzgerlehre im väterlichen Betrieb beginnen musste. Mittlerweile waren jedoch einflussreiche Künstler wie der Linzer Kupferstecher Joseph Keller oder auch die zu der Zeit mit der Ausmalung der Remagener Apollinariskirche betrauen Ernst Deger, Andreas und Karl Müller und Franz Ittenbach auf das Talent aufmerksam geworden, und Niederée konnte auf Vermittlung des Lithographen Rudolf Schwertführer eine fünfjährige Lehre als Holzschneider in der Lithographischen Anstalt Arnz & Comp. in Düsseldorf aufnehmen. Josef Keller drängte zugleich auf ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie und stellte ein Stipendium in Aussicht.

                                           

Bildnis der Katharina Bennerscheid, Zeichnung, 1851, © Heimatmuseum Sinzig
Studie zum Bildnis Arnold Bennerscheid, Zeichnung, 1851, © Heimatmuseum Sinzig

Anfang 1848 siedelte Johann Martin Niederée nach Düsseldorf über und begann seine Lehre. Kunststudien betrieb er zunächst nur nebenbei, er belegte Abendzeichenkurse, bis am 1. März 1849 das ersehnte Stipendium endlich den Eintritt in die Elementarklasse der Düsseldorfer Akademie ermöglichte. Die Kunstakademie war zu dieser Zeit ein Anziehungspunkt für Schüler aus aller Welt. Ihr Direktor Wilhelm von Schadow hatte sie ab 1826 neu strukturiert und die Düsseldorfer Malerschule gegründet. Hierdurch wurde Düsseldorf zu einem Mittelpunkt fortschrittlichen Kunstschaffens in Europa und außerdem zum Zentrum der nazarenischen Kunstrichtung, denn Schadow förderte diese Form der religiösen Historienmalerei nachdrücklich.

                                   

Christus am Ölberg, Zeichnung, 1850, © Heimatmuseum Sinzig
Der Gute Hirte, Zeichnung, 1852, Privatbesitz (?)


Niederées Lehrer Joseph Wintergerst, Karl Mosler und Karl Ferdinand Sohn waren sehr angetan von den Arbeiten ihres Schülers. Mosler bemerkte anerkennend, dass „Ihre Kompositionen die besten [sind], die ich von jungen Leuten Ihres Alters und ihrer Vorbildung gesehen habe. Sie haben ein sehr glückliches Talent. In den Arbeiten liegt ein sehr großer und ernster Sinn.“ Am 5. Mai 1849 trat Niederée in die Antikenklasse ein, im August 1850 wurde er in die Malklasse versetzt, wo er bis zu seinem Abgang von der Akademie im Sommer 1852 blieb. Er beeindruckte die Fachwelt mit einem Bildnis seiner Mutter, das Walter Cohen später als „das Schönste, was Niederee gelang“, bezeichnete, „ein Werk, das ohne jeden biedermeierischen Anklang in der Größe der Formengebung und dem fast schmerzhaft starken Ausdruck fast alles übertrifft, was damals im Rheinlande künstlerisch hervorgebracht wurde“, und das er als Umschlagbild für sein Buch „Hundert Jahre rheinischer Malerei“ von 1924 verwendete.

                           

Bildnis der Mutter des Künstlers, Öl aufLeinwand, 1850, © Heimatmuseum Sinzig
Bildnis der Mutter auf dem Umschlag von Walter Cohens „Hundert Jahre rheinischer Malerei“, 1924


Zum Silberjubiläum Wilhelm von Schadows 1851 fertigte Niederée für ein Album mit Arbeiten hervorragender Schüler eine Zeichnung der Kreuzabnahme an. Er widmete sich jetzt wieder zunehmend christlichen Motiven und schrieb auch religiöse Gedichte, denn, so Niederée, die Kunst „ist göttlich, ich habe es erkannt. Und zur wirklich göttlichen will ich sie in mir machen. Mit jedem meiner Werke will ich Gott ein Loblied singen.“ 1852 erwuchs in ihm der Wunsch, Ordenspriester zu werden. Er schrieb an einen Freund: „Bald überdachte ich den Zweck der Kunst. Ich wollte der Welt und der Menschheit nützen. Aber die Kunst hat ihren Einfluß auf die Welt verloren. Damals fühlte ich die mächtige Wirkung des Worts und des Wirkens der Mission. Ich wollte […] Ordenspriester werden, weil es mir unmöglich erschien, mir als Künstler Ruhe und Frieden zu erhalten.“ Die Eltern aber verweigerten die Erlaubnis.

  

   



Beweinung Christi, Zeichnung, 1848, Privatbesitz (?)
Beweinung Christi, Zeichnung, 1850, © Stadtarchiv Linz am Rhein
Beweinung Christi, Zeichnung, 1851, © Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
Beweinung Christi, Zeichnung, 1853, © Staatliche Museen zu Berlin

 

Ab dem Frühjahr 1852 verbrachte Johann Martin Niederée einige Monate zuhause in Linz und schuf in dieser Zeit eine Reihe von Porträts, von denen einige erhalten sind.

                          

Bildnis einer unbekannten Frau, Öl auf Leinwand, 1852 (?), Privatbesitz
Bildnis einer unbekannten Frau, Öl auf Leinwand, 1852 (?), Privatbesitz


Im Sommer 1852 verlobte er sich mit Franziska, der Schwester seines Jugendfreundes Eduard Ankenbrand. Anfang Oktober desselben Jahres schließlich reiste er zur Erfüllung seines dreijährigen Militärdienstes nach Potsdam. Zutiefst unglücklich darüber, von aller Kunst abgeschnitten zu sein, wandte er sich hilfesuchend an Peter von Cornelius, der bei König Friedrich Wilhelm IV. tatsächlich die Versetzung nach Berlin und Verkürzung der Dienstzeit auf ein Jahr erwirken konnte. Der König gab außerdem eine Zeichnung der Leiden Christi bei Niederée in Auftrag, die den Beifall des Monarchen fand. Weitere Aufträge des Königs folgten, außerdem eine Bestellung des kunstsinnigen Großherzogs Karl Alexander von Sachsen-Weimar.

 

Kreuzigung Christi, verbunden mit Kreuztragung und Grablegung, Zeichnung für König Friedrich Wilhelm IV., unvollendeter Entwurf, 1853
© Staatliche Museen zu Berlin


Durch Peter von Cornelius lernte Johann Martin Niederée zahlreiche bekannte und einflussreiche Künstler und Gelehrte seiner Zeit kennen, darunter Ernst aus’m Werth, Karl Christian Andreae, Herman Grimm und Josef Neuhäuser. Nach dem Ende seiner Dienstzeit sollte er Cornelius nach Italien folgen, wohin dieser Ende April 1853 für einen längeren Aufenthalt gereist war. Doch dazu kam es nicht mehr: Am 15. August 1853 wurde Johann Martin Niederée bei einer Übung durch eine Platzpatrone am Arm verletzt und starb am 3. September 1853 an Wundstarrkrampf. Mit militärischen Ehren und unter großer Anteilnahme vieler Künstlerfreunde wurde er drei Tage später auf dem Alten Garnisonfriedhof in Berlin beigesetzt. „Es war mir, als hätte ich einen Sohn verloren“, schrieb Peter von Cornelius erschüttert, und auch in Niederées Heimatstadt Linz war die Trauer groß. Herman Grimm fasste den Kummer um den verlorenen Freund in ein langes Gedicht, daraus die dritte Strophe:

„Du aber gingst, und mit dir unentfaltet,
Was wachsend noch in deinem Geiste schlief,
Was schön gedacht und rein von dir gestaltet
Der Hand bedurfte, die’s zum Dasein rief.
Das folgte dir; und all’ die weiten Pläne
Von Zukunft, Arbeit und geübter Kraft
Sind rasch in welkem Laub dahingerafft,
Und schwerer wiegt nun eine leichte Träne.“

                                   

Heiliger Petrus und heilige Helena, Zeichnung, 1853, © Stadtarchiv Linz am Rhein
Apostelstudie, Zeichnung, 1852(?), © Heimatmuseum Sinzig

 

Werke (z.T. verschollen)

1847         Bildnis des Küsters Stockhausen, Zeichnung.

1848         Beweinung Christi, Zeichnung.

1849         Bildnis des Lehrers Franz Josef Nußbaum, Zeichnung.

1849         Bildnis des Lehrers J. H. Buchmüller, Zeichnung.

1849         Bildnis des Vaters des Künstlers, Zeichnung.

1849         Kopf eines bärtigen Alten, Zeichnung.

1849         Christi Fall unter dem Kreuz, Zeichnung.

1849         Mädchen mit Spindel, Zeichnung.

1849         Bildnis des Ferdinand Rham, Zeichnung.

1850         Bildnis der Katharina Bennerscheid, Zeichnung.

1850         Bildnis der Witwe Ferdinand Unkel, Ölgemälde.

1850         Bildnis des Missionars Unkel, Ölgemälde.

1850         Bildnis der Mutter des Künstlers, Ölgemälde.

1850         Christus am Ölberg, Zeichnung.

1850         Madonna auf der Mondsichel mit zwei Begleitfiguren, Zeichnung.

1850         Beweinung Christi, Zeichnung.

1850         Der wunderbare Fischfang, Zeichnung.

1851         Studien zum Bildnis von Arnold Bennerscheid, Zeichnungen.

1851         Studie zum Bildnis von Elisabeth Niederée, Zeichnung.

1851         Bildnis von Arnold Bennerscheid, Ölgemälde.

1851         Bildnis von Elisabeth Niederée, Ölgemälde.

1851         Porträt des Gerichtsschöffen Franz Josef Niederée, Zeichnung.

1851         Prophet Nathan, Zeichnung.

1851         Beweinung Christi, Zeichnung.

1851         Die Nonne auf dem Friedhof, Ölgemälde.

1851         Barbarossa im Kyffhäuser, Zeichnung.

1851         Studie zum Kaiser Barbarossa, Zeichnung.

1852         Bildnisse der Eheleute Vincenz, Ölgemälde.

1852         Bildnis des Heinrich Schwertführer, Ölgemälde.

1852(?)    [Bildnis einer unbekannten Frau], Ölgemälde.

1852(?)    [Bildnis einer unbekannten Frau], Ölgemälde.

1852         Bildnisse mehrerer Linzer Persönlichkeiten, Ölgemälde.

1852         Selbstbildnis des Künstlers, Ölgemälde.

1852         Weibliche Kopfstudie, Ölgemälde.

1852         Männliche Kopfstudie, Ölgemälde.

1852         Gewandstudie, Zeichnung.

1852(?)    Gewandstudie, Zeichnung.

1852(?)    Apostelstudie, Zeichnung.

1852         Ölberg, verbunden mit Gefangennahme und Kreuzigung, Zeichnung.

1852         Idealkopf eines Bischofs, Zeichnung.

1852         Christus am Ölberge (unvollendet), Zeichnung.

1852         Der gute Hirt, Zeichnung.

1853         Beweinung Christi, Zeichnung.

1853         Beweinung Christi, Entwürfe.

1853         Kreuzigung Christi, verbunden mit Kreuztragung und Grablegung, Zeichnung (für König Friedrich Wilhelm IV.).

1853         Unvollendeter Entwurf zu dieser Zeichnung.

1853         Heiliger Petrus und heilige Helena, Zeichnung.

1853         Christus am Ölberge mit den schlafenden Jüngern und Judas in seiner Schar, Zeichnung.

1853         Mutter Anna, Zeichnung.

1853         Weibliche Kopfstudie, Ölgemälde.

1853         Beweinung Christi (unvollendet), Zeichnung (für den Großherzog von Sachsen-Weimar)

1853         Selbstbildnis des Künstlers und des Josef Neuhäuser, Zeichnung.

Außerdem weitere Skizzen zu religiösen Kompositionen, Aktstudien und Entwürfe für Glasfenster.


Literatur

Kaufmann, Paul, Johann Martin Niederee. Ein rheinisches Künstlerbild (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 105), Straßburg 1908.

Podlech, Wilfried, Kostbarkeiten aus dem Stadtarchiv Linz. Eine unbekannte Zeichnung von Johann Martin Niederee, in: Heimatjahrbuch für den Landkreis Neuwied 2000, S. 120-124.

Suhr, Norbert / Kirchberger, Nico (Hgg.), Die Nazarener – Vom Tiber an den Rhein. Drei Malerschulen des 19. Jahrhunderts, Ausst.-Kat. Landesmuseum Mainz, Regensburg 2012

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