Von T. Beilfuß
30. April 2017
Willi Reiches Kunstmaschinen haben schon viele Reisen erlebt, innerhalb Deutschlands, aber auch über die Grenzen hinweg in die Niederlande, nach Großbritannien und zuletzt in die Schweiz nach Montreux.
Ob internationale Ausstellung, Galerie, Design-Hotel, Kulturzentrum, Privatveranstaltung, Messe, Museum oder Filmausstattung – für jeden Transport müssen die großdimensionierten und schweren kinetischen Werke in diverse Einzelteile zerlegt und vor Ort wieder zusammengesetzt werden.
Kein Problem, denn Reiche konstruiert seine Kunstmaschinen von vornherein so, dass sie durch Türen passen und oftmals eine bestimmte Deckenhöhe nicht überschreiten. Je nach Präsentationsort, ob im Freien oder beispielsweise in historischen Fabrikhallen, in Messehallen oder auch großzügigen modernen Foyers, setzt der Künstler aber „gerne einen drauf“. Dann erreichen seine Kunstmaschinen auch schon mal eine Höhe von sechs Metern und mehr – in seiner Werkstatt oder auf dem Außengelände so vorbereitet, dass sie vor Ort durch Steck- und Schraubverbindungen nach oben aufgestockt werden können.
Kunstmaschine „Nous sommes en piste“ in der Montreux Art Gallery – MAG, November 2016, © Willi Reiche
Willi Reiche hat in Bonn Kunstgeschichte studiert und ist seit 1982 aktiv künstlerisch tätig. Seine frühen Objekte, stilisierte Figuren aus Metall, Metallmöbel mit skulpturalem Charakter und Installationen hat er in zahlreichen Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen, vorrangig im Köln-Bonner-Raum präsentiert.
Kunstmaschine „gerak-gerik“ im neurowissenschaftlichen Forschungsinstitut caesar, Bonn, 2012, © Willi Reiche
Seit Ende 1998 widmet sich Reiche ausschließlich der kinetischen Kunst und kreiert Kunstmaschinen, die durch Muskelkraft oder Elektromotoren angetrieben werden. In Bewegung liefern diese Kunstmaschinen ein spielerisch-amüsantes Schauspiel ungewöhnlich komponierter Gegenstände und Relikte vergangener Zeiten und – je nach Lichtverhältnissen – ein bizarres Schattenspiel.
„Mon bijou en marchant“, eine interaktive Kunstmaschine vor der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, 2000, Standort St. Augustin, © Willi Reiche
Aber auch im Stillstand faszinieren Reiches Werke: durch grafisch ausgewogene Arrangements und ästhetische Kompositionen ebenso wie durch die skurrilen Kombinationen einzelner Bestandteile jenseits ihrer ursprünglichen Funktionen, die ihnen eine neue Identität geben und sie zu neuem Leben erwecken.
„The piano is still baking“, (Anspielung auf Tom Waits) im The New Yorker | HOTEL, Köln, 2016, © Willi Reiche
Abnutzungsspuren und Patina der meist metallenen und hölzernen Oberflächen strahlen Charme und Wärme aus, geben den Kunstmaschinen eine stimmungsvoll-poetische Ausstrahlung.
Interaktive Kurbel-/Kugelbahn „A Tön(n)schen please“ auf dem Katharinenhof (Fam. Beikircher, TheRhinePrize), 2016, Bonn, © Willi Reiche
In klaren, geräumigen (Galerie-) Räumen mit weißen Wänden kommen die grafischen Aspekte und Schattenwirkungen besonders gut zur Geltung. Aber auch historische Fabrikhallen bieten eine passende Kulisse für die schweren Kunstmaschinen, deren teils ebenfalls historischen Bestandteile, Patina und Gebrauchsspuren. In öffentlichen Gebäuden der Gegenwart bilden Reiches Kunstmaschinen einen spannenden Kontrast zu moderner Architektur und Technik. Und auch im Freien, im Grünen, können sich die für den Außenbereich konzipierten Arbeiten Reiches, darunter einige Wasserspiele, mit ihren warmen Rosttönen bestens behaupten.
Wasserspiel „Ganz große Bühne – kleiner Strahl“ im Skulpturengarten Dümmer See, 2016, Niedersachsen, © Willi Reiche
Aber seit Herbst 2015 gibt es ein Novum für Willi Reiches Kunstmaschinen: sie sind umgezogen – von der bisherigen Lagerhalle in eine Holzbaracke mit Betonfundament. Die Adresse ist dieselbe geblieben, aber die Ausmaße der „neuen“ Halle bieten mit 230 Quadratmetern Grundfläche mehr Raum und damit andere Möglichkeiten. Bisher wurden die Kunstmaschinen, die nicht aktuell auf Ausstellungen zu sehen oder anderweitig unterwegs waren, bis zu ihrem „nächsten Auftritt“ zerlegt und unter Planen verstaut, gelagert.
Kunstmaschine „(S)low Tech“ mit Kurbelantrieb im Foyer der High-Tech Gründerfonds Management GmbH, 2013, Bonn, © Willi Reiche
Zu sehen waren sie dann lediglich auf Fotos und in Videos, aber nicht live in Bewegung und voller Größe. Das aber genau ist es, was den besonderen Reiz der kinetischen Kunst ausmacht und weshalb Reiche immer wieder gefragt wird: Wo kann man die Maschinen denn mal sehen?
Kunstmaschine „Holy Prong“ auf der NordArt 2015 und 2016, Schleswig-Holstein, © Willi Reiche
Ab dem 6. Mai 2017 ist es soweit, dann ist es möglich, mit zurzeit 25 Exponaten einen Großteil der kinetischen Arbeiten von Reiche in Bewegung zu sehen, selbst die Kurbel zu bedienen oder den jeweiligen Startknopf zu drücken, damit sich die betreffende Kunstmaschine für ein Intervall von mehreren Minuten in Bewegung setzt.
Kunst in der Obstplantage – hier die Kunstmaschine „Kornfeld“ vor blühenden Apfel- und Birnbäumen, © Willi Reiche
Und das in einer für die Präsentation von Kunst eher unkonventionellen Umgebung, ca. fünf Kilometer vom Ortskern Remagen entfernt inmitten einer Obstplantage mit Apfel- und Birnbäumen. Die Halle gehört zu einem bewohnten Gehöft, in dem ehemals Obst direkt vermarktet oder in Konserven abgefüllt wurde. Es handelt sich um ein historisches Gebäude, auf dessen Hintergrund und Bauweise vor Ort näher eingegangen wird.
Die Beschaffenheit der Halle birgt hinsichtlich des Zieles, sie zur Präsentationshalle umzufunktionieren, sehr spezielle Herausforderungen: Erhalt der Substanz, ohne allzu massive Veränderungen vorzunehmen, ruhige Hintergründe schaffen, ohne die „Geschichte“ zu beeinträchtigen, die die Halle „erzählt“, Durchgänge, Betrachtungsabstände und Stellflächen der Kunstmaschinen so aufeinander abstimmen, dass die Kunstmaschinen sich nicht gegenseitig „die Show stehlen“, …
Zurzeit haben 25 Kunstmaschinen in der Kunstmaschinenhalle und davor ihren Platz gefunden, © Willi Reiche
Mit einer großen Portion Idealismus, viel Einsatz (auch von tatkräftigen Freunden!) und nicht unerheblichen Investitionen in Ausstattung, Elektrifizierung, Beleuchtung etc. ist aus der Idee, die Kunstmaschinen nicht mehr lediglich zu lagern, sondern sie in Funktion live erlebbar vorführen zu können, ein faszinierendes, einzigartiges Projekt entstanden: die Kunstmaschinenhalle. Als Kuratorin hat hier die Künstlerin Vian Fa mit enormer Sensibilität und viel Gespür für die (angesichts der Anzahl unterzubringender Exponate und des schwierigen Raumes) notwendigen Kompromisse die Anordnung der Kunstmaschinen optimiert. Denn trotz des vorrangigen Präsentationszweckes dient die Halle selbstverständlich auch weiterhin gleichzeitig der Unterbringung einer Vielzahl von Kunstmaschinen.
Die Einweihungsfeier der Kunstmaschinenhalle findet am 6. Mai 2017 mit geladenen Gästen statt. Wer gerne an dieser Feier teilnehmen möchte, meldet sich bitte per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Bei dem Projekt Kunstmaschinenhalle handelt es sich nicht um eine öffentliche Ausstellung, sondern um eine Privatinitiative des Künstlers. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ausstellungen nimmt sich der Künstler auf Anfrage und nach Vereinbarung eines Termins die Zeit, sich mit Interessenten der kinetischen Kunst (einzeln oder ggf. auch in kleinen Gruppen) in der Kunstmaschinenhalle zu treffen und ihnen individuell die Möglichkeit zum persönlichen Austausch zu geben. Es gibt (zumindest vorerst) keine festen Öffnungszeiten, dafür aber mehr Flexibilität hinsichtlich der Abstimmung von Wochentag und Uhrzeit. Und Sie können die Kunstmaschinen – bei Kunst- oder Tageslicht – in Ruhe auf sich wirken lassen.
Ein Eintrittsgeld wird nicht erhoben.
Weitere Informationen zum Künstler Willi Reiche, über seine Kunstmaschinen sowie nicht-kinetischen Frühwerke finden Sie unter: