Die Sammlung Rau für UNICEF

Von Anna Gesher
14.1.2014

Rau 

 

 

 

 

 

 


Der Stuttgarter Arzt und Tropenmediziner Dr. Dr. Gustav Rau (1922-2002) widmete sein Leben und sein ganzes Vermögen, das er aus dem Verkauf des millionenschweren elterlichen Unternehmens erzielte, kranken Kindern in Afrika, aber auch der Kunst. Seine wertvolle Sammlung vermachte er 2001 UNICEF. Ein Kern von 152 Gemälden wird bis 2026 im Arpmuseum Bahnhof Rolandseck in wechselnden Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, während die übrigen Werke nach und nach verkauft, und die Erlöse in die UNICEF Stiftung einfließen. Seit 1958 baute Gustav Rau eine der wohl aussergewöhnlichsten Privatsammlungen der Welt auf, die einen Zeitraum vom Mittelalter bis zum 20. Jh. umfasst und Werke von Fra Angelico, Lucas Cranach, El Greco, Pierre Bonnard, Paul Cézanne, Claude Monet, Auguste Renoir und viele andere umfasst.
 

Das Arpmuseum Bahnhof Rolandseck schloss den Leihvertrag mit UNICEF im Oktober 2008 und die Exponate kamen im Januar 2009 ins Museum. Bis jetzt fanden 7 Ausstellungen unter wechselnden Aspekten statt: „Tiepolo und das Antlitz Italiens“ (29.5 – 17.1.2010), „Das Auge des Sammlers“ (5.2. – 29.8.2010), „Superfranzösisch“ (16.9. – 27.2.2011), „Horizonte. Landschaften von Frau Angelico bis Monet“ (18.3. – 18.9.2011), „Köstlich! Stillleben von Frans Snyders bis Giorgio Morandi“ (10.2. – 14.10.2012), „Lichtgestöber. Der Winter im Impressionismus“ (11.1.2012 – 14.4.2013) sowie die derzeit laufende Ausstellung: „Schau mich an! Portraits seit 1500“, 17.5.2013 – 4.5.2014.

Diese an Facetten reiche Portrait-Ausstellung gibt mit 50 Exponaten (davon 43 aus der Sammlung Rau und 7 weitere aus dem Museumsbestand) einen tiefen Einblick in die menschliche Seele, ist es ja auch das lateinische „pro-trahere“ (hervorziehen, ans Licht bringen), aus dem sich der Begriff „Portrait“ ableitet. Authentische Bildnisse eines Menschen haben eine Jahrtausende alte Geschichte, wie zum Beispiel ägyptische Mumienportraits, die der „Memoria“ dienten – der Erinnerung an einen verstorbenen Menschen und sein Weiterleben im Bild. Die Ausstellung im Arpmuseum setzt um 1500 an, mit Abbildungen des im Mittelalter sehr beliebten Motivs des Schweißtuchs der Veronika – wahres Antlitz des Erlösers, umgesetzt in dem Gemälde von Colyn de Coter (Umkreis von Rogier van der Weyden, tätig in Brüssel 1480-1525). Doch auch der tiefreligiöse Maler George Rouault spürt mit seinem Bild „La Sainte Face“ (1940) der Mystik des Mittelalters und dem Mysterium der Vera Icon nach.

Innerhalb der Kunstgattung „Portrait“ nimmt das Selbstportrait eine bedeutende Stellung ein. Die Gründe sind vielfältig, sie reichen von Selbstdarstellung der Malerprofession bis hin zur tiefen Erforschung des eigenen Ichs und momentaner Stimmungen. Der flämische Malers Jacques François Delyen setzt sich selbstbewusst und zwanglos während seiner Tätigkeit in Szene: Das Gemälde entstand zu einer Zeit, als der Flame zwischen 1710-1715 bei dem französischen Portraitisten Nicolas de Largillière in Paris in die Lehre ging. Das Bild kann als eine Darstellung seiner eigenen Professionalität gewertet werden – das Portrait als Visitenkarte. Der junge Maler hatte das Ziel, an der königlichen Akademie zugelassen zu werden, was ihm als Maler nicht nur gesellschaftliche Anerkennung, sondern auch Aufträge aus Kreisen des Hochadels oder gar des Königs garantieren würde.

 

Jaques-Francois Delyen, Selbstportrait, um 1710/1715, Öl auf Leinwand, 91,4 x 72,4 cm, Foto: Mick Vincenz, Essen
© Sammlung Rau für UNICEF, Köln

Schonungslos, offen und nüchtern, aber auch von Tragik und Melancholie gezeichnet, blickt Edgar Degas auf sich selbst. Um 1900 entstanden, zeigt das Bild diesen unermüdlich schaffenden Künstler in seinem Atelier, von Alter und einem Augenleiden gezeichnet, das zur Erblindung führte.

 

Edgar Degas, Selbstportrait, um 1900, Pastell auf getöntem Papier, auf Lw. aufgezogen, 47,5 x 32,5 cm
Foto: P. Schlächli, Zürich, © Sammlung Rau für UNICEF, Köln

Die Stilmitteln und Kunstgriffe, sein Portrait in Szene zu setzen, sind vielfältig, so zeigt sich der Caravaggio-Schüler Vouet im Gewand einer historischen Gestalt, und stellt sich als der biblische Held David dar. Aus der seit der Antike bekannten und auch in der Renaissance bevorzugten Methode, menschliche Charaktereigenschaften in Analogie zu bestimmten Tieren zu setzen, entwickelte der zeitgenössische Schweizer Künstler Dieter Roth seine Inspiration. Er präsentierte sich 1969/70 als Löwe – allerdings besteht dieses, aus der Sammlung des Arpmuseums stammende Portrait aus Schokolade ….

Sich den alten Sehgewohnheiten zu verweigern – dem Betrachter sein Gesicht zu verbergen und eine Innenschau zu vollziehen gelingt Klaus Rinke mit seiner Performance „Mutation“ – „verändern, verbergen, verdecken“, die er 1970 fotografisch festgehalten hat. 

Neben den Selbstportraits nehmen die der Familienangehörigen und engen Freunde in der Ausstellung einen großen Raum ein. Diese sehr persönlichen, von der engen Beziehung zwischen Maler und Modell bestimmten Gemälde machen den Betrachter neugierig auf die Geschichten, die sich hinter diesen Bildern offenbaren.

Jean-Baptiste Greuze portraitierte 1760 seine junge Frau Anne-Gabrielle Babuti ein Jahr nach ihrer Hochzeit in reizvoll-sinnlicher Pose, ganz dem Schönheitsideal des Rokoko verpflichtet. Anna-Gabrielle war ein bevorzugtes Modell ihres Mannes, allerdings wurde die Ehe nach Jahren heftiger Streitigkeiten nach 26 Jahren geschieden.

 

Jean-Baptiste Greuze, Portrait einer jungen Frau (Anne-Gabrielle Greuze), 1760, Öl auf Leinwand, 47 x 38,8 cm,
Foto: Horst Bernhard, Hardheim, © Sammlung Rau für UNICEF, Köln

Auguste Renoir schuf von seiner Freundin und seinem Modell Marguerite Legrand (Margot genannt) ein sehr intimes Brustportrait, in dem nur das hell erleuchtete Gesicht, die rote Rose im Haar und der schimmernde Ohrring aus dem Dunkel erstrahlen. Gustav Rau soll sich zum Kauf dieses Bildes entschlossen haben aufgrund der „Melancholie der Augen“ dieses Modells, die bereits mit 23 Jahren an Typhus starb.

 

Auguste Renoir: Frau mit Rose, um 1876, Öl auf Leinwand, 35,5 x 27 cm, Foto: P. Schlächli, Zürich
© Sammlung Rau für UNICEF, Köln

Cornelis van Dongen stellte seine kleine, 1905 geborene Tochter Augusta (Dolly genannt) des Öfteren im Portrait dar – hier als selbstbewusste Persönlichkeit in einem Matrosenanzug, eine große blaue Schleife im hellen Haar; sie schaut ihren Vater mit dunklen Augen aufmerksam an.

 

Cornelis Theodorus Marie van Dongen: Mädchen im Matrosenanzug (Dolly van Dongen), 1912-1913,
Öl auf Leinwand, 55 x 55 cm, Foto: Horst Bernhard, Hardheim, © Sammlung Rau für UNICEF, Köln

Im Hinblick auf die Auftraggeber dienten Portraits auch als Stifterbild (Mittelalter) oder auch als Herrscherbild und Statussymbol. So standen der holländische Patrizier Adriaan Pauw zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern vor einer weiten idyllischen Landschaft 1653 dem Maler Jan Mytens Modell. Anlass des Auftrags war einerseits das Erbe des Besitzes Bennebroek in Heemstede nahe Haarlem, das der Doktor der Rechte Adrian Pauw 1652 antreten konnte, und andererseits seine Ernennung zum Ratsherrn am Hof von Holland. Das Bild war als Kaminstück für Schloss Bennebroek vorgesehen. Stolz präsentiert sich die Familie in prächtigen seidenglänzenden Gewändern, die Mädchen tragen Blumen und auch zwei früh verstorbene Kinder schweben in Gestalt kleiner Engel über dem Ehepaar.

 

Jan Mytens: Portrait von Adriaan Pauw Heer van Bennebroek mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, 1653,
Öl auf Lw, 95 x 170 cm, Foto: Mick Vincenz, Essen, © Sammlung Rau für UNICEF, Köln

Ein für die Zeit sehr ungewöhnliches Portrait, das in der Forschung bis heute Fragen zu dem Auftraggeber und dem Maler aufwirft ist das der Maddalena del Grande. Hier schaut eine sehr alte Frau, eine Arbeiterin, den Betrachter an. Im Hintergrund ein erklärender Schriftzug, der besagt, dass Maddalena del Grande am 12. Dezember 1634 geboren wurde und in treuer Ausübung ihrer Dienstpflichten 43 Jahre als Kammerfrau und Köchin gearbeitet habe. Des weiteres ist vermerkt, dass sie am 26. August 1713 im Alter von 79 Jahren verstorben ist.

 

Anonym (Lombardei oder Piemont): Portrait der Maddalena del Grande, 1711, Öl auf Leinwand, 88 x 73 cm (Ausschnitt),
Foto: Horst Bernhard, Hardheim, © Sammlung Rau für UNICEF, Köln

In allen diesen Portraits begegnen uns die unterschiedlichsten Menschen, geben Einblick oder werfen Fragen auf zu den Dargestellten – wie haben sie gelebt, was war ihr Schicksal…? Die Ausstellung führt in eine spannende Welt – und ab und an findet sich der Betrachter vor einem Spiegel.

Die Ausstellung ist noch bis zum 4. Mai 2015 zu besichtigen. Danach folgt eine neue Ausstellung mit dem Titel „Leibhaftig – Der menschliche Körper zwischen Lust und Schmerz (25. Mai 2014 – 25. Januar 2015). Rund 50 Gemälde und Skulpturen der „Sammlung Rau für UNICEF“, ergänzt durch Leihgaben internationaler Sammlungen vergegenwärtigen Leid und Qual im Kreislauf der Gewalt der letzten 500 Jahre, dem gegenübergestellt sind Werke aus der Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts, die die Lust am Körper, Fleisch und das Fleischliche feiern.

www.arpmuseum.org

 

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