Das Linzer Missale

Eine Kölner Handschrift aus dem Jahr 1434

Von Elli Grawe
27.10.2013

Linzer Missale   

 

 

 

 

 

 


Das Linzer Missale gehört zu jenen spätgotischen liturgischen Handschriften, die, für eine Pfarrei abseits der großen Kirchenzentren bestimmt, in Vergessenheit gerieten. Das im Pfarrarchiv Linz unter der Signatur Hs1 aufbewahrte Messbuch hat bis vor 10 Jahren nie eine Beschreibung oder eine wissenschaftliche Bearbeitung erfahren. Das für eine Gebrauchshandschrift außergewöhnlich reich mit Bild- und Goldinitialen ausgestattete und gut erhaltene Missale gehört aber zweifellos zu einem wichtigen Zeugnis Kölner Buchmalerei aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts , zudem die Vollendung der Handschrift auf den Tag genau datiert ist, der Schreiber sich mit Namen nennt und die Auftraggeber über zahlreiche Wappeninitialen erschließbar sind. 

Das 28 x 37,7 cm große Messbuch besteht aus 382 in Lagen gebundenen Pergamentblättern und gliedert sich in Kalendarium, Gebetsformulare zur Weihwasserweihe, Proprium Missarum de Tempore I (Erster Teil des Kirchenjahres/ 1. Advent bis Ostervesper), Ordo Missae, Proprium Missarum de Tempore II (Zweiter Teil des Kirchenjahres/ Ostersonntag bis 25. Sonntag nach Pfingsten), Proprium de Sanctis (hl. Lucia, 13.12. bis hl. Damasus, 11.12), Messe zur Kirchweihe, Commune Sanctorum, Votivmessen und Sequenzen.

 Linzer Missale        Linzer Missale

Das Linzer Missale besitzt einen überaus reichen Schatz an Schmuckfomen. Sie kennzeichnen die Lied- und Gebetsanfänge der Messen sowie die Psalmverse der Gesänge. 13 Feste sind mit Bildinitialen in Gold und Deckfarben ausgestaltet: Zum 1. Advent, dem Beginn des Kirchenjahres, kündigt die alttestamentliche Darstellung „König Davids“ von der Ankunft eines neuen Königs und Erlösers. Das Eingangslied der Weihnachtsmesse zeigt die „Geburt Christi“; es folgen Illustrationen zu den wichtigen Stationen des Leben Jesu: Die „Anbetung der Könige“ zum Erscheinungsfest, „Einzug in Jerusalem“ zum Palmsonntag, Auferstehung, Himmelfahrt und schließlich die Herabkunft des hl. Geistes zu Pfingsten. Der Beginn des Canon Missae zeigt die Darstellung eines betenden Priesters am Altar. Das Proprium de Sanctis wird durch das Bild der hl. Lucia eingeleitet, ihr Festtag am 13. Dezember steht zu Beginn des Heiligenjahres. Der Muttergottes sind an Mariae Lichtmess und Mariae Himmelfahrt Miniaturen gewidmet, des Weiteren dem Kirchenpatron, dem „ hl. Martin zu Pferd, der den Mantel teilt“ und der Messe zur Kirchweihe. Letztere ist die größte Initiale in der gesamten Handschrift und in ihrer Ikonografie, der Kombination der beiden alttestamentlichen Darstellungen „Jakob ringt mit dem Engel“ und „Jakobs Traum von der Himmelsleiter“ in der Buchmalerei einmalig.

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Eine weitere Besonderheit sind die insgesamt 54 Goldinitialen, die die Sonntage, eine Reihe von Festtagen sowie Abschnitte des Ordo und Canon missae in zahlreichen Varianten einleiten und in dieser Form in der Kölner Buchmalerei nicht üblich sind, dagegen waren Goldrautengestaltungen und Goldfleuronnée in der Buchkunst der Pariser Hofschule des 14. Jahrhunderts fest verankert.

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Unter den Goldinitialen findet sich auch eine Sonderform, ein weiß-blaues Lilienemblem auf einem annähernd rechteckigen Goldschild, in dessen vier Ecken blaue Scheiben mit weißen Punktkränzen eingesetzt sind. Solche Scheiben wurden im vorausgehenden 14. Jahrhundert nicht als bloßes Ornament, sondern als „Kryptosignatur“, das heißt als spezifisches Zeichen eines ansonsten anonym arbeitenden Malers identifiziert. Vergleichbare Zeichen wurden der so genannten „Severinsgruppe“ im Skriptorium des Kölner Minoritenkonvents und den Nonnen des Kölner Klarissenklosters im 14. Jahrhundert zugeordnet. Die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts wird dagegen als Zeit „bilderarmer Codices“ bezeichnet, bei der auf Blattgold weitgehend verzichtet wurde.

Neben einer Anzahl von Deckfarbeninitialen fallen auch die so genannten „Cadellen“ auf, die dem Buchschreiber zuzuordnen sind; sie bestehen aus einem Federstrichgerüst, das mit unerschöpflichen Varianten an rotfarbigen und gelben Ergänzungen. Dabei steht der Schreiber des Linzer Missales in einer Tradition, in der Buchstabenkörper mal als lustige, mal als ernste Gesichter gestaltet sind.

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Da das Kanonblatt, das für die Analyse der Handschrift ausgesprochen wichtig wäre,  herausgeschnitten wurde, kommt den insgesamt acht Wappeninitialen eine große Bedeutung zu, die den Schlüssel bilden, Stifter und Schreiber zu identifizieren.

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Das Wappen mit dem roten Kreuz repräsentiert das Bistum Trier, dem die Linzer Pfarrei angehört, dennoch folgt das Missale dem Ordo der Kölner Liturgie. So werden denn auch zum Fest der hl. Dreifaltigkeit das Doppelwappen des Erzbistums Köln (schwarzes Kreuz auf weißem Grund) und das Stammwappen der Grafen von Moers (schwarzer Querbalken auf weißem Grund) gezeigt.  Die Stadt Linz gehörte im Mittelalter politisch zu Kurköln, das heißt zurzeit der Abfassung des Missales besaß der amtierende Kölner Erzbischof und Kurfürst Dietrich von Moers die Territorialgewalt über Linz.

Die Bedeutung des Kölner Erzbischofs Dietrich von Moers für die Herstellung der Handschrift wird in der Goldinitiale „C“ zum Introitus des Fronleichnamfestes „C“ibavit eos ex adipe frumenti (mit bestem Weizen nährt er sie) evident. Das erzbischöfliche Wappen, im Zentrum der Initiale, ist kreisförmig umzogen von einer nur wenige mm schmalen Inschrift: Anno d(omi)ni mill(esi)mo IIII ipso die viti et modesti Completus est Ipse, das heißt, mit dieser Inschrift wird, in Verbindung mit dem erzbischöflichen Wappen, die Vollendung der Handschrift am Festtag der Heiligen Vitus und Modestus (15. Juni) im Jahr 1434 bekundet. Dass die Wahl der Introitus-Initiale zum Fronleichnamsfest mit Absicht vorgenommen wurde, ist zu vermuten, bekundet der Text doch eine Art „Versorgungsgarantie“ des amtierenden Herrn für seine Untertanen. Als Dank für geleistete Treue und als ein Mittel, sich diese auch in Zukunft zu erhalten, war das kostbare Geschenk Dietrich von Moers an die Linzer Pfarrei wohl gedacht, zumal gerade Linz immer wieder als Bürge für den verschuldeten Erzbischof diente und dieser sich auch nicht scheute, sich von der Stadt direkt Geld zu leihen.

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Innerhalb des goldenen Buchstabens „D“ zum Introitus des ersten Sonntags nach Pfingsten „D“omine in tua misericordia… (Oh Herr, auf dein Erbarmen hoffe ich…) ist ein weiterer Wappenschild mit einer Inschrift eingeschrieben. Der Text lautet hier: Orate p(ro) Johannes Beck de Gudesberg, dictus de Westerholt(z) me fecit. (Bete für Johannes Beck von Godesberg, genannt von Westerholt(z), der mich machte.

In dieser Inschrift nennt sich wohl der Schreiber des Linzer Missales, das mit ihm verbundene Wappen mit schwarz-weißen Schindeln, kann als das der Grafen von Westerholt, die ihren Stammsitz in der ehemaligen Veste Recklinghausen hatten, identifiziert werden. Aus einer Urkunde des Kölner Stiftes Mariengraden geht hervor, dass ein Johannes Beck Bürger in Bonn war. Der Name „Johannes von Gu(o)desberg ohne den Zusatz „Beck“ findet sich in mehreren Quellen, zum Beispiel in der Person eines Schreibers im Dienste der Rennenberger, bzw. des Kölner Erzbischofs Friedrich von Saarwerden 1410. Dennoch verläuft sich die Spur des Schreibers, dem zumindest eine weitere Handschrift, die sich heute in der Dom- und Diözesanbibliothek in Köln unter der Signatur Hs 261 findet, zugeordnet werden kann.

An weiteren Wappen ist das der Isenburger (weißer Schild mit zwei schwarzen Querbalken), das vermutlich für Diether von Isenburg-Büdingen steht, der sowohl als treuer Vertreter des Bistums Trier, als auch als Mitglied des Kölner Domkapitels fungierte, ein Doppelwappen des Kölner Erzbischofs und des Bistums Trier und noch ein Wappen von Isenburg-Wied (zwei rote Querbalken auf Goldgrund), deren Vertreter einen wichtigen kirchenpolitischen Einfluss hatten, zu finden. Dem entsprechend kann das Linzer Missale als ein Auftragswerk des Kölner Erzbischofs und Kurfürsten Dietrich von Moers für die Linzer Pfarrkirche St. Martin angesehen werden. Hochrangige und einflussreiche Vertreter des Bistums Trier und zugleich Verbündete des Kölner Erzbischofs können als weitere Stifter betrachtet werden.

Die Mischung aus Tradition und Innovation, die den Schreiber und auch die Maler des Missales verbinden, waren für die Kölner Buchmalerei zukunftsweisend, denn sie stehen als Bindeglied zu der von Johannes von Valkenburg und seinen Nachfolgern zum Höhepunkt geführten Kölner Buchmalerei des 13. Und 14. Jahrhunderts und den sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts formierenden Fraterherrn-Skriptorien.

Eine ausführliche Beschreibung und wissenschaftliche Analyse des Messbuchs findet sich in der mit zahlreichen Bildern versehenen Publikation:

Denise Steger: Das Linzer Missale – Eine Kölner Handschrift aus dem Jahr 1434. Linz 2004. ISBN 3-00-014612-1.

Das Buch kann zum Preis von 15 Euro im Buchhandel oder direkt vom Förderverein der St. Martinskirche Linz/Rhein bezogen werden:

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www.linz-kirche-sankt-martin.de

© Aller Abbildungen: Denise Steger

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