Bildersturm

Ein Ausstellungsprojekt in der Martinskirche in Linz am Rhein

Von Anna Gesher
13. Juni 2017

                                                       

"Epochen und Episoden" ist das Motto des diesjährigen Kultursommers Rheinland-Pfalz und im Lutherjahr dürfte es spannend werden, die Epoche des "Bildersturms" zu  thematisieren. Siebzehn zeitgenössische Kunstschaffende haben sich zusammengefunden, um sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Dabei bleibt das Projekt nicht auf die Epoche der Reformation beschränkt: Bereits im Alten Testament (2 Mose 20.4) steht geschrieben: "Du sollst Dir kein Bildnis machen". Bilderzerstörungen reichen vom byzantinischen Ikonoklasmus (8./9. Jh.) bis in die heutige Zeit, man denke an die Vernichtung wertvoller Kulturgüter durch den IS. Jeder der Kunstschaffenden hat sich auf eine ganz eigene Weise der Auseinandersetzung mit diesem überaus komplexen und vielschichtigen Thema gestellt. Als Ausstellungsort bietet die 800-jährige katholische Pfarrkirche in Linz am Rhein, die selbst vom Bildersturm der Reformation betroffen war, eine wohl einzigartige Raumsituation.

Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler haben sich auf die Räumlichkeiten dieser dreischiffigen Emporenbasilika bewusst eingelassen. Mit ihren eigens geschaffenen Werken entwickeln sie ein breites Spektrum, das sowohl religiöse, politische, philosophische und auch kunsthistorische Aspekte umfasst und mit den vorhandenen Gegebenheiten korrespondiert. Die künstlerischen Techniken reichen von Malerei, Plastik, Installation, Grafik bis hin zur digitalen Fotografie.

Im südlichen Eingangsbereich und Seitenschiff finden sich die Werke von Gabriele Pütz, zum einen eine Installation mit Darstellungen von Attributen, die die Heiligen ohne ihr Abbild symbolisieren, zum anderen das Objekt „Mondsichelmadonna“, das ikonografisch an die lange Tradition christlicher Abbildungen anknüpft. Die Mondsichel wird hier allerdings durch eine Bügelmessschraube (Mikrometer) ersetzt, in die die Madonna eingespannt ist. Das „Heilige“ wird mit „Profanem“ kombiniert, Tabus werden entsprechend gebrochen, wie auch in einem weitere, Bild, in der Christus auf dem Schoß der Madonna, ein realer Jojo in die Hand gegeben wird. Des Weiteren stellt Gabriele Pütz ihre Grafik „The last Supper“ aus - thematisiert die Negation des Bildes, indem die Rückseite eines Pressefotos mit Kurzvermerken der Agentur sichtbar ist und selbst zum Bild wird. Über Gabriele Pütz, die 2004 den Rheinischen Kunstpreis erhielt und zuletzt 2016 im LVR-Landesmuseum Bonn in der Ausstellung „Bilderstrom“ vertreten war, hat unser Journal unter dem Titel „Die Philosophin“ bereits ein ausführliches Porträt veröffentlicht: http://www.kunst-am-mittelrhein.de/index.php/archiv/4-die-philosophin

Gabriele Pütz: Mondsichelmadonna, Mixed Media, 48 x 27 x 4 cm, © Gabriele Pütz



Unmittelbar im Eingangsbereich zeigt Josef Pröls seine Plastik „Schutzmantel über dem Bildersturm“, eine aus Zellanguss geschaffene Madonna mit ausgebreitetem weitem Mantel. Sie erhebt sich über einer abstrakten Holzkonstruktion. Bezeichnend für die Arbeit von Josef Pröls ist die bewusste Kombination von Figur und Architektur.

Josef Pröls, „Schutzmantel über dem Bildersturm, 2014-2017, Zellanguss, Holz, gefasst, Figuration 80 x 28 x 66 cm
© Josef Pröls

 

Im Westwerk der Kirche begegnen uns die ausdrucksstarken Malereien von Lois Michèle Wetzel, Ulla Windheuser-Schwarz und Angelika Erhardt-Marschall. „Gott regiert, nicht Rom“ betitelt Lois Michèle Wetzel ihr in braun-beige-Tönen gehaltenes Ölgemälde, wo das Kreuz außerhalb der Kirche einen „Wegweiser“ zeigt.

Lois Michèle Wetzel, „Gott regiert nicht Rom“/ "Wegweiser" (Ausschnitt), 2017, Öl auf Leinwand, 100 x 120 cm
© Lois Michèle Wetzel

 

„Res gestae“ betitelt Ulla Windheuser-Schwarz ihre beiden Ölgemälde und auch eine filigrane Skulptur. Ihre Werke  beziehen sich bewusst auf die Reformation: Eine künstlerische Reflektion über die Beziehung zur Wahrheit, Gerechtigkeit und Glauben – Werke, die den Riss und den Zweifel an der Bildlichkeit übermitteln sollen. Kunst am Mittelrhein berichtete über die Einzelausstellung von Ulla Windheuser-Schwarz im Roentgen-Museum Neuwied: http://www.kunst-am-mittelrhein.de/index.php/archiv/42-farbe-zeichen-raum

Ulla Windheuser-Schwarz, „Res gestae – kein Bild umfasst dich“, 2017, Öl auf Leinwand, 80 x 100 cm
© Ulla Windheuser-Schwarz

 

In der Taufkapelle der Kirche setzt sich Angelika Erhardt-Marschall in fünf Gemälden mit der Gegenständlichkeit des Abbildes Christi in verschiedenen Interpretationen, kontinuierlich bis hin zur völligen Abstraktion intensiv auseinander. Nach ihren eigenen Worten möchte sie kein „festes und einseitiges Bild von Gott schaffen: Gott als Licht, als Tröster, als Vater, als König, aber auch als Mutter…, als jemand, der anwesend ist.“

Angelika Erhardt-Marschall, „Gott/ Christus“, Acryl auf Malpappe, 90 x 70 cm
© Angelika Erhardt-Marschall

 

Die vielteilige Grafikserie von Barbara Schwinges im nördlichen Seitenschiff bezieht sich ebenfalls auf die Reformation und stellt die Frage: „ Was passiert, wenn man dem Menschen sein ursprüngliches Denken, seine Gewohnheiten nimmt? Wie wirkt der leere Raum?“ – Was passiert, wenn der Mensch seine Bezugspunkte verliert?

Barbara Schwinges, „Bildersturm“, 2017, Art Pen Ink, Graffit, Bütten Transparent, 50 x 70 cm
© Barbara Schwinges

 

Sarah Thomsens Installation „Kaleidoskop“ zeigt innerhalb einer Vitrine einen kreisförmigen Fächer von Zeichnungen, deren Einzelmotive nicht sichtbar sind, und dem entsprechend in ein abstraktes Objekt transformiert werden. Eine Beleuchtung, die über dem Objekt angebracht ist, reflektiert dieses Objekt auf dem Vitrinen-Boden als eine weitere Abstraktionsstufe.

Sarah Thomsen, „Kaleidoskop“, 2017, Installation von Zeichnungen, Einzelblatt 10 x 14 cm
© Sarah Thomsen

 

Im Durchgang zum Hauptschiff erhebt sich eine lebensgroße, teilweise beschädigte Mondsichelmadonna aus dem 19. Jh., die Michael Royen aus einer Kölner Kirche nach St. Martin brachte. Zwischen Sockel und Gestalt liegen mehrere rot- blinkende runde Halogenlampen – „Raketenantrieb“ um Maria zur Himmelfahrt zu verhelfen? „Bilderzerstörung intendiert Desillusionierung“ über schreibt Michael Royen seinen philosophischen Text, den er seiner Installation unterlegt „[…] Wer sich ein religiöses Bild macht geht fehl, denn eine Darstellung der Erscheinung des Absoluten ist nicht möglich. Diese Erkenntnis ihrer Unzulänglichkeit führt zum Vernichtungsfeldzug gegen alle darstellende Kunst. Die darstellende Kunst, die den Gläubigen doch an die Hand nahm, hebt sich in der Unmöglichkeit der Beschreibung des Unbeschreiblichen selbst auf. Zur Ehre Gottes wurde das Bild geopfert, da wir uns einst von ihm gemacht haben. […]“

Michael Royen, „Desolate Marienfigur“, Holz, Metall, Farbe, Figurenhöhe ca. 170 cm
© Michael Royen

 

Unmittelbar gegenüber zeigt Sabine Moshammer ihre vier kleinen porzellanen Plastiken unter dem Titel „Stellvertreter“, abstrahierte, von innen beleuchtete Heiligenfiguren, vor denen der Betrachter eine Kerze aufstellen kann.

Sabine Moshammer, „Stellvertreter“, 2017, Porzellan, 23 x 11 x 7 cm
© Sabine Moshammer

 

Auf der Nikolausempore hat Rainer Roßbach eine 6m lange Fahne in der Kardinalsfarbe Lila von der Decke aus installiert mit dem doppelt, leichtverschoben übereinandergelegten stilisierten Schriftzug „…Obsession, Verziertheit der Zerstörung“. Auch über Rainer Roßbach hat „Kunst am Mittelrhein“ bereits unter dem Titel „Bilder einer Reise“ ein Porträt veröffentlicht: http://www.kunst-am-mittelrhein.de/index.php/archiv/34-bilder-der-reise-rainer-rossbach-im-portrait

Rainer Roßbach, „…Obsession, Verziertheit der Zerstörung“, 2017, Digitaldruck auf Fahnenstoff, 600 x 100 cm
© Rainer Roßbach

 

Korrespondierend zwischen Nikolaus- und Katharinenempore hat Sybille Walenciak beidseitig an zwei der gegenüberliegenden Emporen-Brüstungen Spiegelscherben unter dem Titel „there is a crack in everything“ (Leonard Cohen) installiert. Die Spiegel reflektieren die Wandgemälde im Mittelschiff, die durch die gebrochenen Scheiben fragmentiert werden.

Sybille Walenciak, „there is a crack in everything“ (Leonard Cohen), 2017, Multiplexplatten, Beize, Spiegelscherben,
8 Paneele à 162 x 45 cm,  © Sybille Walenciak

 

Auf der Katharinenempore befindet sich das Gemälde von Denise Steger unter dem Titel „Was bleibt“. Es zeigt Motive kirchlicher Wandmalerei aus verschiedenen Jahrhunderten, die in ihrer Zusammenschau eine eigene Ästhetik entwickeln.

 

Denise Steger: „Was bleibt“, 2017, Fassaden- und Ölfarbe auf Holz, 200 x 70 cm
© Denise Steger


In der Apsis hat Edith Oellers ein Kreuzgratgewölbe aus bemaltem Tuch unter die flache Holzdecke gespannt. „Alltag im Gewölbe“ betitelt sie ihre figurative Darstellung. „[…] auch die ehrwürdige Form des Kreuztonnengewölbes wird abgelöst vom sakralen Gebäude und vom heilsgeschichtlichen Thema und wird überzogen vom profanen Alltag, der seinen vergänglichen Zauber in vielfältigen und bunten Geschichten ausbreitet.“

 

Edith Oellers, „Alltag im Gewölbe“ 2017, Acryl auf Gewebe, 290 x 290 x 150 cm
© Edith Oellers

 

Vor dem Altar ist die aus Basaltstein gehauene Bibel der Bildhauerin und Steinmetzmeisterin Ruth Schwenker platziert. Das dunkle, geschlossene Buch in Form eines alten Codex, mit der Aufschrift „Am Anfang war das Wort“  ist steinernes Zeugnis der christlichen Lehre.

Ruth Schwenker, „Bibel“, 2017, Basalt, 30 x 23 x 12 cm
© Ruth Schwenker

 

Andrea Pröls nimmt in ihren Gemälden die Emmaus-Geschichte auf: „Sie erkannten ihn, dann sahen sie ihn nicht mehr.“ (Lk 24, 31) und zeigt in einer reduzierten Farbskala in heutigem Gewand die Dreier-, bzw. die Zweierkonstellation der beteiligten Personen. Über die meisterhaften Personendarstellungen von Andrea Pröls findet sich ein Ausstellungsbericht unter: http://www.kunst-am-mittelrhein.de/index.php/archiv/48-kohle-auf-holz

Andrea Pröls, „Sie erkannten ihn, dann sahen sie ihn nicht mehr.“, 2017, Lampenschwarz und Weiß auf Holz,
je 30 x 42 cm, © Andrea Pröls

 

Der Grafiker und Cartoonist Mike Grunzke kombiniert eine Gebetsbank und eine liegende Christusfigur des 19. Jahrhunderts bewusst mit seinen großformatigen Digitalgrafiken „Mach Dir ein eigenes Bild“ und „Du sollst Dir kein Bildnis von mir machen“. Eine weitere Grafik mit dem Antlitz Christi ist auf dem Emporen-Boden mit dem Titel „VORSICHT, BITTE NICHT… … AUF JESUS TRETEN“ fixiert.

Mike Grunzke, „Du sollst dir kein Bildnis von mir machen“, 2017, Digitalgrafik, 155 x 145 cm, © KAM

 

Im Durchgang zur Orgelempore leuchtet die Martinslaterne von Jörg Eberhard:

Führt uns die Laterne hinter einem reitenden Sankt Martin her,
oder führt sie uns in die Martinskirche,
oder sagt sie uns etwas nach den Worten des heiligen Martin?
sehen wir das Licht, das aus ihr leuchtet,
oder sehen wir das Licht, das auf sie leuchtet?
Sie hängt im Raum als ein Bild im Licht und als ein Bild im Dunkeln.
Jörg Eberhard


Jörg Eberhard, "Laterne nach St. Martin, 2017, Acryl, Papier, Holz, Lampe, 170 x 85 x 85 cm

 

Das Projekt Bildersturm, mit zahlreichen Begleitkonzerten, entstand in Kooperation des Fördervereins St. Martin-Kirche Linz/ Rhein e.V. unter dem 1. Vorsitzenden A.-Peter Gillrath mit der Stadt Linz, dem Bürgermeister Dr. Hans Georg Faust. Die künstlerische Leitung des Projekts hat die Kuratorin und Künstlerin Dr. Denise Steger übernommen.

Gefördert wird das Projekt vom Kultursommer Rheinland-Pfalz, der Stiftung Stadtsparkasse Linz am Rhein – der Stadt Linz am Rhein sowie von der kath. Pfarrei St. Martin, die die Kirche für die Ausstellung zur Verfügung stellt.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Die Ausstellung ist noch bis zum Sonntag, 16. Juli zu sehen und endet mit einer Finissage um 17 Uhr, begleitet von einem Konzert Riply St. Thomas (GB).

Öffnungszeiten: Mi-So 13-17 Uhr, der Eintritt ist frei.

www.linz-kirche-sankt-martin.de

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