Die Geheimnisse der Maler

Eine Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum Köln

Von Denise Steger
20.12.2013

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Wer heute Kölns Einkaufsmeile, die „Schildergasse“, in dichtem Gedränge entlangeilt, wird wohl kaum daran denken, dass sich genau hier die Werkstätten der bedeutendsten Kölner Maler des Mittelalters befunden haben, die der „Schilderer“. Namentlich kennt man bis auf Stefan Lochner keinen der Altkölner Maler, da sie sich als Handwerker verstanden und meist mehrere Hände an einem Werk beteiligt waren, Signaturen dem entsprechend fehlen. Die Forschung bedient sich „Notnamen“, um die Werke, insbesondere die prächtigen weltweit berühmten Flügelaltäre, einordnen zu können. Das Wallraf-Richartz-Museum und Fondation Corboud geben in der Ausstellung „Geheimnisse der Maler“ dem Betrachter erstmals einen faszinierenden Einblick hinter die Kulissen dieser Werkstätten und stellt die spannenden Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojektes eindrucksvoll vor. 

Es handelte sich um ein Verbundprojekt mit dem Titel „Die Sprache des Materials – Technologie der Altkölner Malerei vom Meister der Hl. Veronika bis Stefan Lochner (1380-1450), das in Kooperation mit der Bayerischen Staatsgemäldesammlung und dem Doerner Institut, München, realisiert werden konnte. Ein Team von Kunsttechnologen, Naturwissenschaftlern und Kunsthistorikern analysierten mit modernster Technik mehr als 30 mittelalterlicher Meisterwerke.

                   

Arbeit am Stereomikroskop in der Abteilung Kunsttechnologie und Restaurierung des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud
Infrarotuntersuchung in der Mittelalterabteilung des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud, © WRM & FC

Die in 4 Abschnitte mit 3 praxisnahen Exkursen hervorragend gegliederte und didaktisch klug kuratierte Ausstellung bietet neben den immer wieder beeindruckenden Originalen Infrarotaufnahmen, Röntgenbilder sowie riesige Details der Gemälde und führt so dem Betrachter in mitreißender Weise die Entstehungsgeschichte der Werke vor Augen, gibt einen tiefen Einblick in die Methoden der Altkölner Malerschule, bietet Rekonstruktionsansätze, Neudatierungen und Neuzuordnungen.

Im ersten Abschnitt erfährt der Betrachter anhand von Gemälden und ausgewählten Objekten etwas über den Maleralltag, die Wohn- und Arbeitsräume und die zahlreichen Aufgaben der Werkstattorganisation. Die Gemälde von Niklaus Manuel Deutsch: „Der heilige Lukas malt die Madonna“, 1515 (Holz, Leihgabe des Kunstmuseums Bern) und das Bild gleichen Sujets von Derick Baegert, um 1470/1490 (Münster, LWL Museum für Kunst und Kultur) geben Einblick in das Interieur eines Ateliers.

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Die außerordentlich detailfreudigen Schilderungen geben Aufschluss über Malutensilien wie Palette, Farben, Malgeräte und Malstock, des Weiteren erkennt man den dreibeinigen Typ einer Staffelei und auch, dass die Bilder vor der Bemalung bereits gerahmt und farbig gefasst waren. Dem wichtigen Prozess der Farbherstellung - im Hintergrund durch einen Gehilfen angedeutet - kommt besondere Bedeutung zu. Pigmente aus Mineralien, metallischen Verbindungen oder tierischen und pflanzlichen Stoffen mussten mit Bindemitteln zur hochwertigen Farben verarbeitet werden, zum Beispiel lieferten Schildläuse kostbares Rot, aber auch giftige Schwermetalle, wie Blei und Quecksilber wurden verarbeitet, was zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führen konnte („Malerkrankheit“).

Das Aufgabengebiet der Kölner Maler war breit gefächert, neben den „Meisterstücken“ der Tafelmalerei wurden auch Wandmalereien in Auftrag gegeben, wie z. B. die Ausmalung des Hansasaals im Kölner Rathauses, von dem sich Fragmente erhalten haben. Auch Decken und Wände von angesehenen Kölner Bürger wurden malerisch gestaltet, z. B. eine Holzbalkendecke (um 1400)  aus dem so genannten Haus Glesch (ehem. Hohe Str. 79), die transloziert und erhalten werden konnte; hinzu kamen Fahnen oder Wandvorhänge für religiöse, städtische oder militärische Zwecke sowie Schilder und Wappen unterschiedlichster Art, daneben das Verzieren von Hauseingängen oder auch Mobiliar, Schatztruhen. Kassetten und Bücher.

Im zweiten Abschnitt wird dem Betrachter die lange und komplexe Geschichte der Gemälde die ursprünglich für Kirchen, Klöster, Kapellen oder fromme Stifter gemalt wurden, vor Augen geführt. Seit der Säkularisation (1802) aus dem ursprünglichen räumlichen Kontext gerissen, verloren sie teilweise ihre Unversehrtheit, wurden geteilt, zersägt oder Vorder und Rückseite beidseitig bemalter Tafeln gespalten. Mit Hilfe von Röntgenaufnahmen, die Scharniervorrichtungen im Rahmen beweisen, konnte ein bisher als Einzeltafel geltendes Gemälde des „Meisters des Wasservass´schen Kalvarienbergs“, Kalvarienberg der Familie Wasservass (1420/30, Köln, WRM & FC) als Mittelstück eines ursprünglichen Triptychons identifiziert werden. Interessant auch, dass die Aufnahmen und ein Infrarotreflektogramm erkennen ließen, dass die Wappendarstellungen auf dem Gemälde im Verlauf der Stifter-Generationen geändert wurden.

Ein weitgehend original erhaltenes Gemälde ist das Epitaph des Johannes Voirbroic. Es zeigt die hl. Maria mit Kind, den hl. Hieronymus und den Stifter, dessen Inschrift in der Rahmenleiste Namen, Berufsbezeichnung (Gelehrter des kirchlichen Rechts) und Todesdatum (9. September 1431) anzeigt. Die im Röntgenbild kartierten Bretterfugen und Dübel veranschaulichen die Konstruktion des Tafelbildes aus Tannenholz.

 

Epitaph des Johannes Voirbroic, Original u. Röntgenaufnahme, 1440/50, Tannenholz,
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud © WRM & FC

Über einzelne Holzarten und ihre Verwendung, auch über die Herstellung der unterschiedlichen Rahmen, die für großformatige Tafelbilder ein aufwändiger Prozess war, ist in der Ausstellung ein gesonderter Raum gewidmet, in dem der Betrachter sich auch haptisch den einzelnen Materialien und Formen nähern kann.

Der dritte Teil der Ausstellung stellt die Frage nach der Identifikation der Maler: Wer war am Werk? Die in den Kölner Malerlisten verzeichneten Namen konnten bis heute den erhaltenen Werken nicht zugeordnet werden. Die Wissenschaft bedient sich dem entsprechend an technischen und stilistischen Gemeinsamkeiten orientierter „Notnamen“, zum Beispiel steht der „Meister der hl. Veronika“ im Fokus der Analyse. Das ihm zugeschriebene Triptychon „Madonna mit der Wickenblüte“ weist alleine drei unterschiedliche Hände im Punzieren der Goldflächen auf. Auch in der malerischen Ausführung ergaben sich bei den Innen- und Außenseiten des Triptychons Unterschiede sowohl in der Farbzusammensetzung als auch im Farbauftrag der Gesichter. Hier bewiesen Röntgenstrahlen, die von den Metallkonzentrationen in den Pigmenten (Blei im Weißpigment und Quecksilber im Rotpigment) unterschiedlich absorbiert werden, dass zwei verschiedene Hände am Werk waren. Im Vergleich mit anderen Darstellungen, die dem „Meister der hl. Veronika“ zugeordnet werden, konnten die Wissenschaftler eine Präzisierung der Zuschreibungen vornehmen und auch einen weiteren Namen „den Meister von St. Laurenz“ mit einbeziehen. Es ist anzunehmen, dass beide in der gleichen Kölner Werkstatt arbeiteten.

 

Meister der Hl. Veronika: Muttergottes mit der Wickenblüte, 1410/15, Walnuss- und Eichenholz, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Original neben Röntgenbild (Detail) © WRM & FC

Vorlagenbücher und Schablonen waren wichtiges Arbeitsmaterial um eine Komposition zu erstellen, dem entsprechend fallen große Ähnlichkeiten der Figuren auf unterschiedlichen Werken immer wieder auf. Schablonen wurden nicht nur für ornamentale Muster in den Hintergründen, sondern auch für Pflanzen, für Profilkonturen eines Gesichts, für Körperteile, wie Arme und Beine verwendet. Ein eindrucksvolles Beispiel liefert die Infrarotaufnahme eines Details: „Ankunft der Hl. Ursula und ihrer Schar in Rom“, die die Unterzeichnung mit stereotypen Gesichtern zeigt.

 

Infrarotaufnahme (Detail), Ankunft der Hl. Ursula und ihrer Schar in Rom, 1455/60, Tannenholz,
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, © WRM & FC

Ein eigener Exkurs widmet sich in der Ausstellung der Verarbeitung von Gold, das wohl kostbarste verarbeitete Material, veranschaulicht es doch überirdische und überzeitliche Sphären. Blattgold wurde, zusammen mit den Goldschmieden in einer eigenen Zunft organisiert, von „Goldschlägern“ hergestellt. Eine genaue Bestimmung des Goldgehalts mit der „Röntgenfluoreszenzanalyse“ (RFA), ergab, das sowohl reines Gold als auch Legierungen und nicht so hochwertiges Zwischengold zum Einsatz kamen. Die Techniken der Goldapplikation und deren Verzierung mit Mustern durch Schablonen, Punzierung, Profilierung, Gravur, und Pressbrokat werden dem Betrachter anschaulich vor Augen geführt.

Höhepunkt der Ausstellung stellt die Analyse der Werke von Stefan Lochner dar.

 

Stefan Lochner, Weltgericht, um 1435, Eichenholz, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, © RBA Köln

Infrarotaufnahmen, Röntgenbilder und mikroskopische Untersuchungen beweisen die außerordentlichen Fähigkeiten des wohl unumstrittenen Genies der Altkölner Malerei. So besitzen alle seine Werke minutiöse Unterzeichnungen (d. h. einen zeichnerischen Entwurf auf dem Malgrund), die selbst schon einzigartige Kunstwerke sind. In seinem überaus detailreichen Weltgericht hat Lochner sämtliche Formen und Motive bis ins letzte Detail vorgezeichnet und Licht- und Schattenwerte in feinsten Schraffuren modelliert. Durch das so genannte Infrarotreflektogramm, das dann erfolgreich ist, wenn die Zeichnung mit schwarzen Zeichenmitteln ausgeführt wurde, konnte diese Unterzeichnung sichtbar gemacht werden. Veränderungen des Bildentwurfs entstanden erst in der malerischen Ausführung. Mikroskopische Untersuchungen ergaben hier ausnahmsweise, dass das Bild von Lochner maßgeblich selbst geschaffen wurde. Seine bewundernswerte Fantasie, seine unterschiedlichen Pinseltechniken und bis in kleinste Nuancen ausgearbeiteten Figuren suchen Ihresgleichen.

 
Stefan Lochner, Weltgericht, Infrarotaufnahme, © WRM & FC

                      

Stefan Lochner, Weltgericht, Detailaufnahmen des Teufels und vom Auge des Teufels, © WRM & FC

Das berühmteste und größte erhaltene Werk Stefan Lochners ist der für die Kölner Ratskapelle geschaffene „Altar der Stadtpatrone“. Das Triptychon befindet sich heute im Kölner Dom. In diesem Bild waren bei der Unterzeichnung im Gegensatz zum „Weltgericht“ mehrere Zeichner am Werk, darunter kann neben zwei anderen Pinselführungen der charakteristische Zeichenstil Stefan Lochners genau identifiziert werden. Die malerische Ausführung weist jedoch erhebliche Abweichungen auf, vor allem wurden der ursprünglich „kriegerische“ Duktus und der Schmuckreichtum abgeschwächt, was wohl auf die Wünsche des Auftraggebers zurückzuführen ist.

 

Stefan Lochner: Altar der Stadtpatrone, 1445, Eichenholz, Kölner Dom, © Dombauarchiv

„Die Muttergottes in der Rosenlaube“, durch Reproduktion auf Postern, Postkarten und Briefmarken weltweit bekannt, war ursprünglich wohl Teil eines Diptychons, das als Andachtsbild in Auftrag gegeben wurde – eine überragende Meisterleistung in kleinem Format, überaus feinlinig und detailreich gearbeitet, mit feistem Goldschmuck geziert, wie zum Beispiel die Brosche am Gewand der Madonna, gerade mal 1,5 cm hoch. Erst beim genauen Hinsehen bzw. mikroskopischen Blick wird die große Leistung des Meisters in der individuellen und abwechslungsreichen Goldbearbeitung, verbunden mit ausgefeilten Maltechniken deutlich.

              

Stefan Lochner: Muttergottes in der Rosenlaube, um 1445, Eichenholz, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, © RBA Köln
Stefan Lochner: Muttergottes in der Rosenlaube, Detailaufnahme der nur 1,5 cm hohen Brosche, © WRM & FC

Diese großartige Ausstellung schult den Blick des Betrachters wie wohl kaum sonst, lässt ihn tief in den Herstellungsprozess der Bilder eintauchen und gewinnt zusätzliche Wertschätzung und Freude an diesen wunderbaren Meisterwerken mittelalterlicher Kunst.

Ausstellungsdauer noch bis zum 9. Februar 2014

www.wallraf.museum

Katalog: Die Geheimnisse der Maler, Köln im Mittelalter, Dt. Kunstverlag Berlin, München, 2013, ISBN 978-3-422-07217-6

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